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Edition Rechtsextremismus

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Sonderfall Ost – Normalfall West?<br />

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mut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ ausblieben. Wie Individuen<br />

Transformation wahrnehmen und bewerten, hängt dabei auch mit sozialisierten<br />

Deutungs- und Verarbeitungsweisen zusammen.<br />

Wird, wie mit dem Verweis auf die „DDR-Diktatur“ angedeutet, ein Kausalverhältnis<br />

behauptet zwischen persönlichen Erfahrungen („Töpfchen-These 1 “), politischen<br />

Einüssen („verordneter Antifaschismus“, vgl. unter anderem Heitmann,<br />

1997, S. 93) und den Ausprägungen politischer Einstellungen und Verhaltensweisen,<br />

werden systembedingte Sozialisationsein üsse für die Bevölkerung der ehemaligen<br />

DDR bis 1989/1990 betont. Diese, so die Annahme, ließen sich auf die<br />

Prägung des Alltags durch die diktatorische Gesellschaftsordnung zurückführen<br />

und führten in der Nachwendegesellschaft dazu, dass Ostdeutsche häu ger Af-<br />

nitäten zum <strong>Rechtsextremismus</strong> zeigten als Westdeutsche. Dem sozialisationstheoretischen<br />

Ansatz folgend habe die DDR-Sozialisation mentale Deformation<br />

zur Folge, welche sich in antidemokratischen Einstellungen, Fremdenfeindlichkeit,<br />

Autoritarismus und fehlender Eigeninitiative äußere. Bürger in den neuen Bundesländern<br />

seien demnach aufgrund ihrer Sozialisation in der DDR deutlich autoritärer<br />

geprägt als im Westen Deutschlands (als Überblick: Bulmahn, 2000).<br />

Empirisch ist diese Annahme bereits mehrfach widerlegt. So ist die Tendenz zu<br />

autoritären Orientierungen in den alten und neuen Bundesländern ähnlich (Sommer,<br />

2010). Regionale Unterschiede in der Verbreitung rechtsextremer Einstellung<br />

resultieren nicht aus der Herkunft aus einem ost- oder westdeutschen Bundesland,<br />

sondern sind unter anderem auf die aktuelle sozioökonomische Lage im nahen<br />

Wohn- und Lebensumfeld zurückzuführen. Unter der Wohnbevölkerung wirtschaftlich<br />

abdriftender Regionen sind – unabhängig von den Ost-West-Variablen –<br />

rechtsextreme Einstellungen stärker ausgeprägt als in stabilen und prosperierenden<br />

Gegenden. Unterschiede in den politischen Mentalitäten können sich demzufolge<br />

erst dann au ösen, wenn sich die Lebensbedingungen in West- und Ostdeutschland<br />

angleichen (Quent, 2012a).<br />

Wenn es nicht um mögliche Ursachen persönlicher Einstellungs- und Verhaltensdispositionen<br />

in der Vergangenheit (also vor 1989) geht, sondern wie im von<br />

1 Schochow (2013) fasst die Diskussion um die überspitzt als „Töpfchen-These“ bezeichnete<br />

Debatte zusamen. Zugrunde liegt eine These von Christian Pfeiffer: „Ostdeutsche,<br />

so der Kriminologe Christian Pfeiffer in einem viel beachteten Spiegel-Artikel<br />

zehn Jahre nach der friedlichen Revolution, wurden langfristig von einer DDR-spezifischen<br />

Erziehungslogik geprägt. Man sei nämlich in DDR-Krippen und -Kindergärten<br />

‚nur wenig auf die Bedürfnisse der Kinder eingegangen und habe zu wenig Raum für<br />

deren Entfaltung gelassen.‘ Diese Kälte führe später zu Fremdenfeindlichkeit“ (ebd.,<br />

S. 175). Kindergartenkinder in der DDR mussten nach Pfeiffer immer gemeinsam aufs<br />

Töpfchen gehen, woraus ihre autoritäre Prägung erwachsen sei.

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