05.01.2016 Views

Edition Rechtsextremismus

75dwIuZct

75dwIuZct

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

Demokratiepädagogik als präventionswirksame Idee<br />

467<br />

of living“ distanziert. Allem Anschein nach hat sie sich im Laufe ihrer biogra-<br />

schen Entwicklung ein politisch folgenreiches Urteil über eine Gesellschaft gebildet,<br />

der es nicht gelungen ist, ihr im schulischen Bildungsprozess die Unterschiede<br />

zwischen Religion und Politik hinreichend erfahr- und begreifbar zu machen. Das<br />

Verhalten der Schülerin pauschal als „unmündig“ zu bewerten, würde jedoch bedeuten,<br />

ihre Glaubensüberzeugungen zu verletzen, mit der Folge, dass sie sich in<br />

ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Demokratie bestätigt ndet.<br />

Was sich an dem Beispiel zeigt, ist ein allgegenwärtiges alltagsweltliches Dilemma,<br />

das uns mit unseren eigenen kategorialen Interpretationsschemata konfrontiert.<br />

Ganz offenbar reicht der moderne Begriff der „Mündigkeit“ nicht mehr<br />

hin, um eines der zentralen moralisch-politischen Bildungsziele unserer Gegenwart<br />

zu kennzeichnen. Er zieht nämlich Grenzen, die historisch mit Prozessen der<br />

Rationalisierung und Säkularisierung verbunden waren und er bindet den Vernunftgebrauch<br />

an ein aufgeklärtes, in abendländischen Traditionszusammenhängen<br />

stehendes Subjekt. In globalisierten Einwanderungsgesellschaften mit konkurrierenden<br />

soziokulturellen Wertorientierungen und Narrativen leben jedoch<br />

viele Subjekte neben- und miteinander und die Moderne bildet längst nicht mehr<br />

den für alle tragenden lebensweltlichen Hintergrund. Zwischen solcherart unterschiedlichen<br />

Menschen kann Verständigung nur gelingen, wenn wahrgenommene<br />

Differenzen des Glaubens, der Herkunft oder der Kultur akzeptiert und Freiheitsrechte<br />

gegenseitig anerkannt werden. Denn demokratische Gesellschaften sind auf<br />

die Mitwirkung aller ihrer Mitglieder angewiesen – und zwar unabhängig von<br />

besonderen sozialen Zugehörigkeiten oder dem Säkularisierungsgrad einer Religionsgemeinschaft.<br />

Entscheidend ist vielmehr, dass die Einzelnen in der Lage<br />

sind, Angelegenheiten, die ihr Zusammenleben betreffen, in gewaltlosen, verlässlichen,<br />

verbindlichen und Unterschiede anerkennenden Formen gemeinsam zu regeln.<br />

Das Ziel politischer Bildung heißt darum „Demokratiekompetenz“, ein Ziel,<br />

das die Schülerin im beschriebenen Fall zum Schrecken der Lehrperson augenscheinlich<br />

nicht erreicht hat.<br />

Man kann dafür sicherlich auch außerschulische Gründe geltend machen.<br />

Gleichzeitig aber sollte man sich daran erinnern, dass in den großen, in Deutschland<br />

durchgeführten Jugendstudien seit den 1990er Jahren wiederkehrend darauf<br />

hingewiesen wurde, dass die nachwachsenden Jugendgenerationen ein erkennbar<br />

geringes Interesse an politischen Fragen haben, wenngleich die Demokratie als<br />

Staatsform mehrheitlich befürwortet wird (Deutsche Shell, 2002). Gerademal ein<br />

Drittel der 15- bis 17-Jährigen nimmt am politischen Geschehen bewusst Anteil.<br />

Auch diese Befunde stimmen nachdenklich, weil sie aus einer anderen Perspektive<br />

ebenfalls die Frage aufwerfen, wie nachhaltig der „democratic way of living“ überhaupt<br />

in den jugendlichen Lebenspraktiken verankert ist. Demokratiekompetenz

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!