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Edition Rechtsextremismus

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Wenn abstrakte Items auf die Wirklichkeit der Stammtische treffen<br />

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teil des Projekts waren Leitfadeninterviews mit neun Senioren und Seniorinnen<br />

des Ortes – Angehörige der so genannten „Generation Hitler-Jugend“ -, die von<br />

den Jugendlichen gemeinsam mit einer pädagogischen Betreuerin durchgeführt<br />

wurden. Die Leitfadeninterviews und die Dokumente aus den Archiven wurden in<br />

einem weiteren Schritt wissenschaftlich ausgewertet, in Textform gebracht und in<br />

einer knapp 120-seitigen Broschüre veröffentlicht (vgl. JAKOb e.V., 2013).<br />

Neben der „Freilegung“ der lokalen Geschichte der Zwangsarbeit konnten<br />

in relativ kurzer Zeit weitere Geschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus<br />

durch die Sichtung der Dokumente und der Auswertung der Interviews geborgen<br />

werden: über die Macht der NSDAP-Ortsgruppe, über so genannte „Sektenprozesse“<br />

(so ein Titel der heimischen Dill-Zeitung), über Zwangssterilisierungen<br />

und Euthanasie, über Verurteilung und Inhaftierung von jungen Menschen wegen<br />

„Kameradendiebstahls“, über die Inhaftierung von Dorfbewohnern wegen des falschen<br />

Parteibuches, über die Hinrichtung eines jungen Mannes wegen „Desertion“<br />

oder über die tragische Liebesgeschichte einer jungen Dorfbewohnerin und eines<br />

jungen Tschechen, die mit dessen Tod in einem Konzentrationslager „wegen verbotenem<br />

Geschlechtsverkehrs“ tragisch endete. Das Projekt schloss (vorläug) mit<br />

der Präsentation der Ergebnisse und einem „Erzähl-Café“ ab, an dem über 200<br />

Menschen aus dem Dorf und aus Nachbarorten teilgenommen haben.<br />

Ohne an dieser Stelle weiter auf die Ergebnisse des Projektes einzugehen, lassen<br />

sich einige bemerkenswerte Aspekte bezüglich der politischen Kultur im ländlichen<br />

Raum und ihrer Bedeutung für lokale Anfälligkeiten für <strong>Rechtsextremismus</strong><br />

herausarbeiten:<br />

1. Trotz aller medialen Konjunkturen in der Aufarbeitung des so genannten Dritten<br />

Reiches, trotz aller zahlreichen wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen<br />

Veröffentlichungen zum Thema Nationalsozialismus verdeutlicht<br />

dieses Projekt, dass die Aufarbeitung des Nationalsozialismus dort ins Stocken<br />

gerät und nach wie vor lokale Blockaden und Schweigespiralen vorzu nden<br />

sind, wo das Erkenntnisinteresse dem konkreten sozialen Nahraum gilt. Ein<br />

ständiger Begleiter für alle Projektbeteiligten war von Anfang an die Frage, wie<br />

„das Dorf“ auf die Ergebnisse reagieren würde. Ängste und Befürchtungen,<br />

dass der Verein Schaden erleiden könne, weil die mehr oder weniger verdrängte<br />

Dorfgeschichte nunmehr zum Thema wird oder ob gar die Jugendlichen oder<br />

die Mitglieder des Projektteams als „Nestbeschmutzer“ gesehen werden, waren<br />

während der gesamten Projektphase wiederholt Gegenstand von zahlreichen<br />

Diskussionen. Auch wenn alle lokalen NS-Größen namentlich bekannt sind,<br />

bestand die Befürchtung, dass deren Angehörige sich an den Pranger gestellt<br />

fühlen könnten.

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