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Edition Rechtsextremismus

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Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Brandenburg …<br />

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aber bemerkenswert bleibt die Notiz des Mediziners doch. Dem Tatortfundbericht<br />

ist zu entnehmen, dass Arzt und Polizei zeitgleich im Haus waren.<br />

Gelegentlich fehlt der Polizei offensichtlich auch der Überblick über rechtsextreme<br />

Strukturen vor Ort. Z. B. wird bei einem Fall von mehreren Zeugen und<br />

Beschuldigten ein Treffpunkt erwähnt, an dem man sich traf, um Alkohol zu trinken<br />

und sich zu unterhalten. Die Information, dass es sich hier um einen zentralen<br />

Neonazi-Treffpunkt gehandelt haben soll, ndet sich allerdings nur in einer „Antifa“-Broschüre.<br />

In den polizeilichen Ermittlungsakten nden sich keine derartigen<br />

Hinweise.<br />

Die Täterstruktur in den von uns untersuchten Fällen entspricht verbreiteten<br />

allgemeinen Vorannahmen: Es handelt sich fast ausschließlich um männliche Jugendliche,<br />

Heranwachsende und junge Erwachsene. Der Bildungsgrad ist in der<br />

Regel niedrig, die Familienverhältnisse sind oft zerrüttet und gewaltbestimmt,<br />

Alkoholmissbrauch spielt eine große Rolle. Sicherlich ist rechtsextreme Gewalt<br />

weithin Jugendgewalt; dissoziale Persönlichkeitsstörungen spielen eine große Rolle.<br />

Doch dürfen diese Aspekte auch nicht überbetont werden. 10 Bei einer Analyse<br />

rechtsextremer Tötungsdelikte müssen selbstverständlich auch und insbesondere<br />

die politischen Hintergründe und Bezüge angemessen berücksichtigt werden.<br />

Dazu ein weiterer exemplarischer Fall aus Brandenburg: Auf dem Grundstück<br />

eines älteren Ehepaars in Fürstenwalde treffen sich am 17. Juni 1993 mehrere Personen,<br />

um gemeinsam Alkohol zu trinken. Dabei gerät der Arbeitslose H. H. (geb.<br />

1955) zunächst in einen Streit mit dem ABM-Beschäftigten P. A. (geb. 1970) und<br />

dem Schüler M. K. (geb. 1977). Anschließend wird H. H. von den beiden Jüngeren<br />

stundenlang brutal misshandelt, woran er letztendlich stirbt.<br />

Das Opfer wird von beiden Tätern (insbesondere vor der Polizei und dem psychologischen<br />

Gutachter) als „dreckiger Assi“ und „Schnorrer“ stigmatisiert. Dies<br />

deutet auf eine sozialdarwinistische Motivation hin. Die Tatsache, dass der soziale<br />

Status der Täter kaum höher einzuschätzen ist als der des Opfers, spricht u.E. nicht<br />

gegen diese Annahme. Dass Angriffe auf sozial Benachteiligte von Tätern verübt<br />

werden, die selbst sozial marginalisiert sind, ist keineswegs ungewöhnlich. „Dieser<br />

Umstand verführt Behörden und Medien zu dem vorschnellen Schluss, der Angriff<br />

sei eine ‚Milieu-Tat‘. Doch auch in einem solchen Fall ist […] das Weltbild<br />

des oder der Täter_innen entscheidend“, schreibt auch Lucius Teidelbaum in seiner<br />

Studie über Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus (Teidelbaum, 2013, S. 68).<br />

Entscheidend ist offenbar auch, wie wir uns Rechtsextremisten vorstellen. So<br />

vermissen manche Forscher ein geschlossenes, gar geschultes rechtsextremes<br />

10 Dies geschieht u.E. z. B. bei Marneros (2005). Vgl. dazu die Kritik von Buschbom<br />

(2013).

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