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Edition Rechtsextremismus

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368 Frank Schilden<br />

zu Recht, manchmal aber auch nicht 1 . Tucholsky beantwortet seine Frage, „Was<br />

darf die Satire?“, zwar kurzum mit „Alles“ (Tucholsky, 1919a), aber ganz so einfach<br />

ist es bei Tucholsky nicht. Es kommt darauf an, was Satire überhaupt ist,<br />

und Tucholsky argumentiert vor allem aus der Warte der Funktion von Satire. Mit<br />

anderen Worten: Satire darf eben dann alles, wenn sie die Funktion satirischer<br />

Texte bzw. Überformungen erfüllt. Besonders bei der Annäherung an Tabuthemen<br />

manifestiert sich dieses Spannungsverhältnis im öffentlichen Diskurs: vermeintliche<br />

Mohammed-Karikaturen, den Papst herabsetzende Darstellungen der Titanic,<br />

Dieter Nuhrs Ausführungen zum Islam, vulgäre Aussagen von Serdar Somuncu.<br />

Satire im Sinne Tucholskys geht es nicht um bloße Provokation oder ober ächliche<br />

Beleidigung, „Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel<br />

gegen alles, was stockt und träge ist“, sie kämpft „um des Guten<br />

willen“, sie hat „die Berechtigung, die Zeit zu peitschen“ (Tucholsky, 1919a, Hervorhebung<br />

von mir, F.S.). Auch mögliche Mittel benennt Tucholsky klar: Satire<br />

muss übertreiben, die Wahrheit aufblasen und dabei eben auch zum Ziele der Zeitkritik<br />

„ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht“ sein. Was soll der Effekt der Satire<br />

sein? Hier formuliert Tucholsky: „Die echte Satire ist blutreinigend“. Worum es<br />

Tucholsky hier geht, ist eine Abkehr von dem negativen Verständnis von Satire,<br />

dem bloßen Dagegen-Sein, hin zu einem positiven Verständnis: Ziel ist nicht das<br />

Dagegen, sondern das Für-etwas-anderes-Sein, „Politische Satire steht immer in<br />

der Opposition“ – Mittel ist wiederum die aufgeblasene Wahrheit (in den Augen<br />

des Satirikers). „[D]er Satiriker […] verallgemeinert und malt Fratzen an die Wand<br />

und sagt einem ganzen Stand die Sünden einzelner nach, weil sie typisch sind,<br />

und übertreibt und verkleinert“ (Tucholsky, 1919b) im Dienste dessen, was er, der<br />

Satiriker, oder sie, die Satirikerin, für richtig hält.<br />

Wendet man diese etwas differenzierteren Ausführungen Tucholskys auf die<br />

oben beispielhaft benannten Satire-Beispiele an, dürfte klar sein, dass die Mohammed-Karikaturen,<br />

die noch immer auf rechten bzw. rechtsextremen Demonstrationen<br />

oder Kundgebungen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit gezeigt<br />

werden, dem Anspruch „echter Satire“ im Sinne Tucholskys nicht gerecht werden<br />

können, es ist reines Dagegen. Sie ist dort eben nicht Mittel, die Zeit zu peitschen,<br />

sondern Effekthascherei. Eine ähnliche Karikatur kann in einem anderen Kontext<br />

aber sehr wohl „echte“ Satire zum Ziele der Zeitkritik sein. Vor allem die Karikaturen,<br />

die französische Karikaturistinnen und Karikaturisten nach dem schrecklichen<br />

Terroranschlag auf den Sitz des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo<br />

in Paris veröffentlicht haben, sind ein schönes Beispiel dafür – vor allem weil sie<br />

1 Zum Verhältnis der Grundrechte im Kontext von Satire vgl. die interessanten Ausführungen<br />

von Schröder (2007) und Gärtner (2009).

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