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Edition Rechtsextremismus

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292 Franz Knoppe und Maria Gäde<br />

dass wir das Gras, das über die NSU-Sache wächst, symbolisch ausgraben werden.<br />

Wir zogen uns Gummistiefel an und gewappnet mit einem Spaten zogen wir zur<br />

Wiese, um Spuren der Aufklärung zu hinterlassen. Der MDR Sachsen richtete<br />

eine Live-Schaltung ein und regionale Pressevertreter waren vor Ort. Auch alle<br />

anderen Aktionen fanden entweder am Jahrestag der Aufdeckung der Terrorzelle<br />

oder am Jahrestag des Prozesses statt. Das Medieninteresse an den Jahrestagen<br />

der Aufdeckung der NSU-Terrorzelle war generell größer, als an den Jahrestagen<br />

des Prozessbeginns. Der richtige Zeitpunkt half uns ungemein, unsere Botschaft<br />

an die Medien zu vermitteln und ihre Relevanz-Hürden für eine Berichterstattung<br />

zu überspringen.<br />

Neben dem richtigen Zeitpunkt stellt sich die Frage nach dem geeigneten Interventionspunkt<br />

(Canning & Reinsborough, 2014b, S. 170ff). Damit sind „neuralgische<br />

Punkte“ gemeint, die ein System irritieren und destabilisieren können.<br />

Für uns stellte sich also die Frage, wo wir den Hebel ansetzen sollten, um eine<br />

möglichst größte Wirkung erzielen zu können. Wir entschieden uns bei den ersten<br />

beiden Aktionen die Orte zu nehmen, an denen die NSU-Terroristen zuletzt wohnten.<br />

Für uns symbolisierten sie genau das, was wir kritisierten: die Geschehnisse<br />

wurden in der Frühlingsstraße 26 bewusst unkenntlich gemacht. So rief uns am<br />

06.05.2013, als wir das Gras ausgraben wollten, die von öffentlicher Hand geführte<br />

Wohnungsgesellschaft an und fragte was wir dort vorhaben. Als wir es ihnen<br />

erzählten, meinten sie erschüttert, dass sie das Gras doch genau deswegen gesät<br />

haben. Auch beim Verfassungsschutz wussten wir, dass er den Negativpreis nur<br />

ungern öffentlich entgegennehmen würde. Also mussten wir nach Dresden fahren,<br />

um Originalbilder vom Schauplatz (vgl. Abbildung 4) erzeugen zu können. Interventionspunkte<br />

müssen nicht nur Orte sein, es können auch bestimmte Personen,<br />

ideologische Vorstellungen oder Entscheidungspunkte sein (Canning & Reinsborough,<br />

2014b, S. 170), die den Schwachpunkt eines Systems präsentieren.<br />

Doch selbst wenn Zeit- und Interventionspunkt richtig gesetzt sind, kann es<br />

sein, dass die Botschaft nicht verstanden wird. Nur wenn die Logik der Aktion<br />

(Boyd & Russel 2014, S. 170ff) richtig dargestellt ist, hat sie überhaupt eine Chance<br />

beachtet und wahrgenommen zu werden. Die Logik einer Kunstaktion sollte für<br />

einen Unbeteiligten, z. B. zufällig vorbeilaufenden Passanten, sofort zu erkennen<br />

sein. Das war in unseren Aktionen nicht sofort der Fall, aber auch nicht notwendig,<br />

da wir meist an wenig frequentierten Orten aktiv wurden. Die Logik der Aktion<br />

wurde deswegen für die medialen Beobachter so gebaut, dass diese die Botschaft<br />

schnell kontextualisieren und ihren Beobachtern (Zuschauer, Leser) weitervermitteln<br />

konnten.<br />

Zum Schluss stellt sich die Frage, welchem ethischen Ansatz folgen wir als<br />

Künstlergruppe? Für die Autoren dieses Artikels steht fest, dass jede Handlung

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