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Edition Rechtsextremismus

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220 Heike Würstl<br />

kommnisse aus dem Heim verwiesen und kehrt in die Familie zurück. Nicht nur<br />

die Familie, sondern auch die staatliche Jugendhilfe, die nach alternativen Betreuungsangeboten<br />

hätte suchen können bzw. müssen, scheitert. Spätestens ab diesem<br />

Zeitpunkt kann von einem endgültigen Bruch mit den Eltern, vor allem mit der<br />

Mutter, ausgegangen werden.<br />

Ende des Schuljahres 1991/92 bleibt Böhnhardt erneut sitzen. Er wechselt daraufhin<br />

an eine Lernförderschule und wird ein weiteres Mal durch die Mutter abgeschoben<br />

und stigmatisiert. Die Mutter nimmt ihn nun unter die Fittiche ihres<br />

Berufsstandes (Sonderpädagogen) und bindet ihn damit noch stärker an sich. Sie<br />

macht ihren Sohn zum pädagogischen Fall, worin sich einmal mehr ihr Scheitern<br />

als Mutter, aber auch als Pädagogin zeigt. Sie bringt ihrem Sohn gegenüber zum<br />

Ausdruck, dass sie ihm nicht zutraut, sich auf einer Regelschule zu behaupten, was<br />

der Entstehung von Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen abträglich ist und seine<br />

Autonomieentwicklung weiter behindert. Böhnhardt reproduziert seine Fallstruktur,<br />

indem er sich auch dieses Mal gegen das Abschieben in Form von Delinquenz<br />

zur Wehr setzt. Er bricht in seine Schule ein und wird erwischt. Daraufhin wird<br />

er von der Schule verwiesen und kommt kurz darauf zum ersten Mal in Untersuchungshaft.<br />

Auch hier scheitern die staatlichen Behörden an ihm und geben ihn auf. Der Jugendvollzug<br />

überstellt ihn in den Erwachsenenvollzug, weil er während der Untersuchungshaft<br />

erneut kriminelle Handlungen begeht (bastelt an einer Rohrbombe<br />

mit und ist an der Misshandlung eines Mithäftlings beteiligt).<br />

Zwischenfazit: Böhnhardts Chancen auf eine adäquate Bewältigung seines Ablösungsproblems<br />

und der beginnenden Adoleszenzkrise sind als äußerst ungünstig<br />

zu bewerten. Ihm stehen lediglich informelle, in seinem Fall deviante peer-group-<br />

Cliquen unterstützend zur Seite. Seine Eltern sind Teil seines Problems und fallen<br />

somit als Bewältigungsressource aus. Die staatlichen Behörden der Jugendhilfe<br />

und des Jugendvollzugs haben ihn aufgegeben, das Herkunftsmilieu des sozialistischen<br />

Establishments, das ihm Solidarität hätte gewähren können, existiert<br />

nicht mehr. Ihm bekannte formale Jugendorganisationen gibt es nach 1990 nicht<br />

mehr und die in Westdeutschland typische Vereinsstruktur hat sich in Ostdeutschland<br />

noch nicht etablieren können. Böhnhardt ist in dieser wichtigen Lebensphase<br />

hochgradig desintegriert und ist in seiner Entwicklungskrise, zu deren adäquaten<br />

Bewältigung ihm infolge seiner Sozialisationsde zite die Befähigung fehlt, auf<br />

sich allein gestellt. Infolge seiner fragmentierten Schulkarriere und seiner Stigmatisierung<br />

als Sitzenbleiber und Förderschüler wird er kaum Anschluss an normale<br />

peer-groups im Rahmen der Schule nden. Was bleibt, sind in erster Linie Wohngebietscliquen,<br />

die in Jena-Lobeda, dem Wohnort von Böhnhardt, zu Beginn der<br />

1990er Jahre vor allem rechtsorientiert sind, nachdem sie aus dem Stadtzentrum in

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