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Edition Rechtsextremismus

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Sekundäre Viktimisierung durch die Polizei?<br />

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wäre dem folgend zum Beispiel auch die Erfahrung eines türkischen Jugendlichen,<br />

der im Gegensatz zu seinen deutschen Klassenkameraden keinen Ausbildungsplatz<br />

bekommt, obwohl er einen gleich guten oder sogar besseren Schulabschluss<br />

hat. In dem Beispiel wird die allgemein geteilte normative Erwartung des Prinzips<br />

der Chancengleichheit verletzt. Für den polizeilichen und juristischen Handlungsrahmen<br />

sind dagegen Strafrechtsnormen bindend (Böttger et al., 2014, S. 31 f.).<br />

Bei der Viktimisierung werden drei Stufen unterschieden, die aber nicht<br />

zwangsläug aufeinanderfolgen müssen (Kie & Lamnek, 1986, S. 167): Primäre<br />

Viktimisierung umfasst die eigentliche Opferwerdung, also die Schädigung einer<br />

oder mehrerer Personen durch einen oder mehrere Täter und Täterinnen. Ausgelöst<br />

und beein usst wird diese Phase durch verschiedene Situationsmerkmale,<br />

Opfereigenschaften, Opferverhalten, die Art der Täter-Opfer-Beziehungen und Tätereigenschaften<br />

(Kie & Lamnek, 1986, S. 170).<br />

Sekundäre Viktimisierung ist eine Verschärfung der primären und entsteht<br />

durch Fehlreaktionen des sozialen Nahraums von Betroffenen (Freunde und<br />

Freundinnen, Bekannte, Familienangehörige) und/oder Instanzen der formellen<br />

Sozialkontrolle (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte) nach der primären Opferwerdung<br />

(Kie & Lamnek, 1986, S. 239). Sie entsteht also nicht unmittelbar aus<br />

der Tat, „sondern [wird] durch Akteure produziert […], welche mit dem Opfer der<br />

Straftat irgendeinen Umgang haben (und zwar im Hinblick auf dessen primäre<br />

Viktimisierung)“ (Kölbel & Bork, 2012, S. 39). Die primäre Viktimisierung wird<br />

dadurch verstärkt, die Betroffenen fühlen sich, als ob sie noch einmal zum Opfer<br />

geworden sind. Dabei umfasst der Begriff sowohl den Vorgang der Einwirkung<br />

der Akteure als auch die Folgen dieser Einwirkung (Kölbel & Bork, 2012). Neben<br />

den genannten können auch die Täter und Täterinnen und deren Angehörige, die<br />

Öffentlichkeit, insbesondere die Medien, und die Verteidigung der Täter und Täterinnen<br />

im Gerichtsverfahren die sekundäre Viktimisierung positiv oder negativ<br />

beeinussen bzw. verhindern oder hervorrufen (Kie & Lamnek, 1986, S. 239).<br />

Die dritte Stufe ist die tertiäre Viktimisierung, die zu einer Verfestigung der<br />

Opferidentität und damit zu einem veränderten Selbstbild führt.<br />

2.4 Reaktionen von Ermittlungsbehörden<br />

Die Polizei ist häu g der erste Kontakt für Betroffene nach einer Tat. Sie wird<br />

vom Opfer selbst oder von Zeugen und Zeuginnen verständigt und trifft in diesem<br />

Fall zum Teil noch am Tatort auf die Kon iktparteien. Die Geschädigten erwarten<br />

dabei von der Polizei, dass sie als Opfer ernst genommen werden, Gehör und<br />

Beachtung nden und konkrete Hilfe erfahren (Haupt, Weber & Bürner, 2003,

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