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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

die Bedeutung neurokognitiver Merkmale, z. B. die verbale Lern- <strong>und</strong> Merkfähigkeit, im<br />

Prozess der Einsichtsgenese betonen, als auch solche, die Krankheitswissen fokussieren<br />

(MACPHERSON, JERROM & HUGHES, 1996a, b).<br />

Da dem Individuum Information immer aus einem (sub-) kulturellen Kontext zufließt,<br />

der sich von dem des Diagnostikers stark unterscheiden kann, mag es zweitens sinnvoll sein<br />

(z. B. bei Gruppen mit Migrationshintergr<strong>und</strong>), eine soziokulturelle Perspektive einzunehmen<br />

(JOHNSON & ORRELL, 1995). ANGERMEYER <strong>und</strong> KLUSMANN (1988) merkten in diesem<br />

Zusammenhang bereits vor über zwei Jahrzehnten an, dass die Diskrepanz der Krankheitskonzepte<br />

von Experten <strong>und</strong> Laien insofern zunimmt, als einerseits ein Trend zur Biologisierung<br />

der Psychiatrie, andererseits eine Psychologisierung des Zeitgeistes zu verzeichnen<br />

seien.<br />

Drittens bieten spezifische Krankheitskognitionen dem palliativ bewältigenden Individuum<br />

verschiedene Möglichkeiten zur selbstwertstabilisierenden Abweichung vom Expertenmodell,<br />

ohne dieses in Gänze zu verwerfen (s. GREENFELD, STRAUSS, BOWERS &<br />

MANDELKERN, 1989; vgl. ROE, HASSON-OHAYON, KRAVETZ, YANOS & LYSAKER, 2008). Hier<br />

bieten sich vor allem defensive Konstruktionen der Identität, der Konsequenzen oder der<br />

Dauer der Erkrankung an (vgl. BREZNITZ, 1988), wobei auch konzeptuelle Dissoziationen<br />

zwischen den Repräsentationsdimensionen auftreten können: So mag ein Patient z. B. eine<br />

durchaus plausible, nicht-wahnhafte Ursachenzuschreibung vornehmen (z. B. »familiärer<br />

Stress«) <strong>und</strong> eine hohe Medikationsadhärenz zeigen, jedoch durch seine Psychiatrieerfahrung<br />

alternative Etiketten wie »Neurose« aufnehmen <strong>und</strong> so die Identität der Störung<br />

in Richtung einer weniger stigmatisierenden Entität modifizieren (LALLY, 1989; ROE &<br />

KRAVETZ, 2003); oder er etikettiert seine Erkrankung zwar in Übereinstimmung mit dem<br />

Expertenurteil <strong>und</strong> erkennt soziale Konsequenzen in der Vergangenheit an, verneint jedoch<br />

eine andauernde Vulnerabilität <strong>und</strong> verwirft folgerichtig sein Medikationsregime. Auch<br />

eine nicht-biologische Ursachenzuschreibungen (z. B. »Trauma«) <strong>und</strong> eine Betonung<br />

positiver Folgen (z. B. »spirituelles Wachstum«) kann der Erhaltung von Selbstwert <strong>und</strong><br />

Kontrollüberzeugungen dienen.<br />

Viertens sollten die Bewusstseinspflichtigkeit <strong>und</strong> der Grad der Ich-Syntonie vorherrschender<br />

Symptome die Konstruktion des Krankheitsmodells beeinflussen (MARKOVÁ &<br />

BERRIOS, 1995a). Gegenüberstellen lassen sich hier Positiv-Symptome, denen das bewusste<br />

Erleben inhärent ist, <strong>und</strong> manche Negativ- <strong>und</strong> Desorganisations-Symptome (z. B.<br />

Anhedonie, sozialer Rückzug, formale Denkstörungen), deren Erlebnisgrad gering oder<br />

zumindest unklar ist. Ob kognitive Prozesse <strong>und</strong> soziale Rückmeldungen eine differentielle<br />

Rolle in diesen Bereichen spielen, blieb bislang ungeklärt (s. Abschnitt 6.5.10).

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