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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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116<br />

<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Fazit<br />

Viele Patienten konstruieren multifaktorielle Modelle von Verursachung,<br />

Verlauf <strong>und</strong> Remission. Die deutlichsten Abweichungen vom biopsychiatrischen<br />

Modell liegen in der relativ stärkeren zeitlichen Begrenzung der Probleme<br />

(»Krise« statt »Krankheit«) <strong>und</strong> in der Akzentuierung externaler psychosozialer<br />

Ursachen (SAYRE, 2000; ANGERMEYER & KLUSMANN, 1988). Hierin<br />

könnte sich erstens das Bestreben nach der Stabilisierung des Selbstwerts <strong>und</strong><br />

der Aufrechterhaltung von Hoffnung widerspiegeln. Zweitens könnte hierin<br />

zum Ausdruck kommen, dass die im biopsychiatrischen Modell vermuteten<br />

distalen biologischen Ursachen weit entfernt sind von dem Erleben <strong>und</strong> den<br />

Bedürfnissen von Menschen mit Schizophrenie-Diagnosen (z. B. nach interpersonellen<br />

Beziehungen: ANGERMEYER & KLUSMANN, 1988; PHILLIPS et al., 2007).<br />

6.3 Subjektive Krankheitskonzepte: quantitative Studien<br />

Die quantitative Erforschung von Krankheitskonzepten bei Schizophrenie kann seit einigen<br />

Jahren auf eine Reihe spezieller Fragebögen zurückgreifen: Der für Schizophrenie modifizierte<br />

Illness Perception Questionnaire (IPQS) erfasst die Komponenten des Common-<br />

Sense-Modells (IPQ: WEINMAN, PETRIE, MOSS-MORRIS & HORN, 1996; IPQS: JOLLEY &<br />

GARETY, 2004; LOBBAN, BARROWCLOUGH & JONES, 2005).<br />

Der Personal Beliefs about Illness Questionnaire (PBIQ: BIRCHWOOD, MASON,<br />

MCMILLAN & HEALY, 1993) zielt ab auf Einschätzungen (a) der persönlichen Kontrolle bzw.<br />

Selbstwirksamkeit bei der Bewältigung von Krankheit <strong>und</strong> Symptomen, (b) der internalstabilen<br />

Ursachenzuschreibung, (c) der negativen Zukunftserwartungen aufgr<strong>und</strong> der<br />

Krankheit, (d) der Scham <strong>und</strong> (e) der Berechtigung sozialer Segregation.<br />

Die (Modified) Engulfment Scale (ES/MES: LALLY, 1989; MCCAY & SEEMAN, 1998)<br />

basiert auf LALLYs (1989) soziologischem Selbststigmatisierungs-Konzept <strong>und</strong> umfasst<br />

Items zur <strong>Krankheitseinsicht</strong> im engeren Sinne <strong>und</strong> solche zu generalisierten Erwartungen<br />

negativer Erkrankungsfolgen sowie zur Chronifizierung von Störung <strong>und</strong> Patientenrolle.<br />

Während der IPQS ein theoriegeleiteter Krankheitskonzept-Fragebogen ist, lassen sich<br />

PBIQ <strong>und</strong> MES konzeptuell in die Nähe von Stigma-Instrumenten rücken (s. RÜSCH,<br />

ANGERMEYER & CORRIGAN, 2005). Sie wurden dennoch berücksichtigt, da sie ebenfalls<br />

Überzeugungen zu Kontrolle, Konsequenzen <strong>und</strong> Chronifizierung der Erkrankung erheben.<br />

Erste systematische Studien zu Krankheitskonzepten bestätigten die klinische Erfahrung,<br />

dass viele Menschen mit Schizophrenie-Diagnosen das Krankheitsetikett »Schizophrenie«<br />

negativ bewerten, ohne zugleich das Vorliegen einer Erkrankung r<strong>und</strong>weg zu leugnen<br />

(KINGDON et al., 2008), was mit dem Stigma des Begriffs erklärt wird.<br />

Diese Ablehnung des Etiketts ist im Übrigen nicht auf Patienten beschränkt: Wegen der<br />

nosologischen Probleme des neokraepelinianischen Schizophrenie-Konzepts (vgl. BENTALL,<br />

2003) wird auch auf Expertenseite über dessen Dekonstruktion nachgedacht (z. B.<br />

ALLARDYCE, GAEBEL, ZIELASEK & VAN OS, 2007). Von einigen Autoren wird hierfür der zwar<br />

in den Diagnosesystemen abgeschaffte, in der Praxis jedoch nie aufgegebene Begriff<br />

»Psychose« propagiert (z. B. KINGDON et al., 2008).<br />

Bislang wurde mit dem Einsatz von Krankheitskonzept-Instrumenten vor allem eine<br />

Erklärung komorbider bzw. postpsychotischer affektiver Störungen angestrebt. Die bisher<br />

gesammelten Erfahrungen mit MES, PBIQ <strong>und</strong> IPQ liefern solide Belege dafür, dass eine

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