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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Autoren »unexpected finding« (S. 296) besteht darin, dass Probanden des Clusters mit<br />

großer Angst (T = 89) nicht nur die größte Hoffnungslosigkeit <strong>und</strong> Depressivität sowie die<br />

geringste Lebensqualität, sondern zugleich auch die stärksten Halluzinationen aufwiesen<br />

<strong>und</strong> sich am ehesten als psychisch krank einschätzten.<br />

Internalisiertes Stigma wurde hier nicht erhoben, dafür in der bereits erwähnten<br />

Clusteranalyse von LYSAKER, ROE <strong>und</strong> YANOS (2007): Hier zeigte sich, dass Probanden eines<br />

subjektiv stigmatisierten <strong>und</strong> eher krankheitseinsichtigen Clusters, das die niedrigsten<br />

Mittelwerte in Hoffnung <strong>und</strong> Selbstwert aufwies, zugleich signifikant positiv- <strong>und</strong> negativsymptomatischer<br />

waren (g = 0,78 bzw. 0,69) als die Probanden eines ebenso einsichtigen,<br />

aber deutlich weniger stigmatisierten (g = -1,96) Clusters. Es ist eine interessante Arbeitshypothese,<br />

dass sich Menschen mit bewusst erlebten Symptomen einer psychischen<br />

Erkrankung am ehesten selbst stigmatisieren <strong>und</strong> entsprechend häufiger negative emotionale<br />

Konsequenzen erleiden.<br />

Für den Zusammenhang von Positivsymptomatik <strong>und</strong> Stigma-Erleben sind gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

vier Wirkpfade denkbar: Erstens könnten dieselben affektiv-kognitiven Mechanismen,<br />

die als Gr<strong>und</strong>lage des paranoiden Denkens postuliert worden sind (z. B. FREEMAN, 2007),<br />

unabhängig von objektiver Diskriminierung das Erleben von Stigmatisierung steigern.<br />

Zweitens könnten Menschen, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Symptomatik die Normen sozialer<br />

Interaktion verletzen, tatsächlich diskriminiert werden (z. B. durch Reaktionen auf Halluzinationen<br />

oder Affektverflachung: PENN et al., 2000). Zudem wird Personen mit stärkerer<br />

Symptomatik die Ausübung bestimmter sozialer Rollen notwendigerweise erschwert, was<br />

als »strukturelle« Diskriminierung berichtet werden könnte.<br />

Drittens könnte der Stress des erlebten Stigmas die Symptomatik direkt oder sek<strong>und</strong>är<br />

über dysfunktionale Bewältigungsreaktionen wie sozialen Rückzug (YANOS et al., 2008) <strong>und</strong><br />

Nonadhärenz exazerbieren lassen, was auch die Modifizierte Labeling-Theorie vorhersagt<br />

(LINK et al., 1989).<br />

Und viertens könnten ungewöhnliche Erlebnisse (z. B. Halluzinationen), wenn diese<br />

einsichtig als »Symptomatik« einer Erkrankung oder zumindest als Normabweichung<br />

aufgefasst werden, Selbststigmatisierung direkt begünstigen – z. B. indem das Symptom-<br />

Erleben als beweisend für die Legitimität negativer Stereotype <strong>und</strong> eine ungünstige<br />

Prognose gewertet wird (vgl. LYSAKER & SALYERS, 2007; CORRIGAN & WATSON, 2002) oder<br />

indem das Vertrauen in die Veridikalität der eigenen Wahrnehmung erschüttert wird.<br />

Fazit<br />

Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen sind weit<br />

verbreitet. Patienten mit Schizophrenie-Diagnosen erwarten <strong>und</strong> erleben häufig<br />

Stigmatisierung <strong>und</strong> verinnerlichen negative Stereotype. Neuere Stigma-<br />

Theorien betrachten v. a. die differentielle Bewältigung <strong>und</strong> die Konsequenzen<br />

des Stigmas. Zwei mögliche Abwehr- bzw. Coping-Reaktionen bestehen darin,<br />

(a) sich nicht mit der stigmatisierten Gruppe zu identifizieren (CORRIGAN &<br />

WATSON, 2002; WILLIAMS, 2008) oder (b) das eigene Stigma zu verheimlichen<br />

(LINK et al., 1989). In diesem Zusammenhang muss auf die Äquifinalität dieser<br />

Formen der Krankheitsverarbeitung hingewiesen werden: Unabhängig davon,<br />

ob das stigmatisierende Etikett bewusst verheimlicht oder das Erkrankungsmodell<br />

auf eine Weise konstruiert wird, die darauf abzielt, sich von der Gruppe<br />

der Erkrankten zu distanzieren <strong>und</strong> den Selbstwert zu schützen – auf der Beobachtungsebene<br />

resultiert beides in einer Beurteilung »mangelnder <strong>Krankheitseinsicht</strong>«.<br />

Die Zusammenhänge zwischen verinnerlichtem Stigma <strong>und</strong>

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