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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

schließlich werden Erkrankung <strong>und</strong> Symptome in ihrer Bedeutung für das Selbst, die<br />

Funktionsfähigkeit der Person <strong>und</strong> ihre Beziehung zur Welt beurteilt.<br />

Das MARKOVÁ-BERRIOS-Modell weist eine Reihe theoretischer Schwächen auf, die hier<br />

nicht erschöpfend behandelt werden können: So bleibt die Art der Beziehungen zwischen<br />

pathophysiologischer Ebene <strong>und</strong> phänomenaler »Ursuppe« sowie zwischen den Ebenen<br />

unklar, ebenso die Bewusstheitsfähigkeit der Prozesse auf Ebene 1. Die an Symptombildung,<br />

»insight tagging« <strong>und</strong> Einsicht auf Ebene 2 beteiligten kognitiven Prozesse werden<br />

nicht expliziert. Die zentrale »insight tagging function« (S. 748) des Modells erscheint als<br />

theoretische Idiosynkrasie, die keinen über die klassische Unterscheidung zwischen<br />

Erlebens- <strong>und</strong> Verhaltenssymptomen hinausgehenden Erklärungswert zu haben scheint. Es<br />

ist fragwürdig, ob die scheinbar stringente Trennung zwischen den Einsichtspfaden a <strong>und</strong> b<br />

empirisch haltbar ist, insofern als die Einsichtsgewinnung durch Realitätsüberprüfung<br />

positiver »Symptome« auch ein sozialer Prozess ist (z. B. KO et al., 2006; LANDA,<br />

SILVERSTEIN, SCHWARTZ & SAVITZ, 2006; BECK & RECTOR, 2003).<br />

Anders als MARKOVÁ <strong>und</strong> BERRIOS (1995a) orientieren sich LINCOLN et al. (2007) an den<br />

Konzepten von DAVID (1990) <strong>und</strong> AMADOR et al. (1993) <strong>und</strong> versuchen, den Verlauf der<br />

Entstehung der von jenen Autoren postulierten Einsichtskomponenten zu beschreiben. Ihr<br />

Modell beschreibt eine zeitliche Sequenz, die bei der Bewusstwerdung von Symptomen der<br />

Veränderung oder Störung beginnt, die als Voraussetzung der Akzeptanz der Diagnose <strong>und</strong><br />

der Attribution von Symptomen auf die Erkrankung gesehen wird. Die Bewusstheit von<br />

Konsequenzen <strong>und</strong> der Behandlungsbedürftigkeit schließen sich an. LINCOLN et al. (2007)<br />

nehmen jeweils unterschiedliche Einflüsse auf die unterschiedlichen Komponenten an:<br />

Während Symptombewusstheit durch neurokognitive Defizite begrenzt werden soll, wird<br />

die Attribution, v. a. von Urteilsverzerrungen (reasoning biases) beeinträchtigt, die<br />

nächsten beiden Schritte vor allem von krankheits- <strong>und</strong> behandlungsbezogenen Einstellungen.<br />

Leider explizieren die AutorInnen ihr Modell ebenfalls nicht weiter: So bleibt auch hier<br />

unklar, welche kognitiven Funktionen auf welche Weise Symptombewusstheit vermitteln<br />

oder warum Einstellungen nicht bereits den Attributionsschritt mitbestimmen sollten.<br />

Einen qualitativ-empirischen Weg nahmen KO et al. (2006), die 50 teilremittierte Patienten<br />

mit einem Einsichtsinterview (SAI) untersuchten <strong>und</strong> zusätzlich persönliche Narrative<br />

(RIESSMAN, 1993) analysierten, d. h. evozierte Erzählungen über Erlebnisse, die zur<br />

Behandlung führten, über Einschätzungen dieser Erlebnisse im Hinblick auf ihre Krankheitswertigkeit<br />

<strong>und</strong> über wahrgenommene Anzeichen einer Erkrankung. Anhand der<br />

Narrative einsichtiger Probanden wurden vier Phasen der Genese von Einsicht formuliert:<br />

(1.) Unerträglichkeit der Symptome (Feeling that symptoms are unbearable or a loss of<br />

control) – während dieser ersten Phase nehmen unspezifische Prodromalsymptome (z. B.<br />

Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Kontrollverlust) bis zur subjektiven Unerträglichkeit zu,<br />

wodurch sich ein eindeutiges Veränderungs- <strong>und</strong> Störungsgefühl etabliert.<br />

(2.) Vergleich der eigenen Erlebnisse mit Referenzen (Comparison of experiences with<br />

references) – während dieser Phase werden inter- <strong>und</strong> intraindividuelle Vergleiche (auch<br />

mit Mitpatienten nach der ersten Hospitalisierung) zur Einschätzung des Realitätsgehalts<br />

<strong>und</strong> der Normalität der eigenen Erlebnisse sowie der eigenen Leistungsfähigkeit vorgenommen.<br />

KO et al. (2006) nehmen für diese Phase eine Bedeutung frontal-exekutiver<br />

Funktionen an.<br />

(3.) Erlernen der Medikationswirkung durch Erfahrung (Perception that medication<br />

works through trial and error experiments) – diese Phase umfasst die subjektive

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