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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Die Möglichkeit, konkurrierende kognitive Repräsentationen verschmelzungsfrei aktiv<br />

halten <strong>und</strong> flexibel zwischen ihnen wechseln zu können, ist zugleich eine Fähigkeit, die auf<br />

dem Gebiet der sozialen Kognition die Basis der sog. Theory of Mind (ToM) bildet. Theory<br />

of Mind bzw. Mentalisierungsfähigkeit spiegelt sich u. a. wider in der Reflexion von<br />

Bewusstseinsakten (Metakognition), im Erkennen falscher Überzeugungen, in Perspektivenübernahme<br />

<strong>und</strong> referentieller Kommunikation, der Erkenntnis von Wahrnehmungstäuschungen,<br />

der Zeitvergegenwärtigung <strong>und</strong> im Motivmanagement (vgl. BISCHOF-KÖHLER,<br />

1998, S. 354-370). In diesem Zusammenhang haben einige Autoren v. a. die Bedeutung der<br />

mentalisierenden Einnahme bzw. Simulation einer Außenperspektive für die <strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

betont (LANGDON, CORNER, MCLAREN, WARD & COLTHEART, 2006).<br />

Kandidaten für die kognitive Gr<strong>und</strong>lage mangelnder <strong>Krankheitseinsicht</strong> bei Schizophrenie<br />

sind also (1.) <strong>Exekutivfunktionen</strong> <strong>und</strong> Arbeitsgedächtnis (vgl. FUSTER, 1999; KERNS et<br />

al., 2008), (2.) das sek<strong>und</strong>äre deklarative Gedächtnis <strong>und</strong> (3.) Metakognition bzw. Theory<br />

of Mind.<br />

6.5.13.1 <strong>Exekutivfunktionen</strong> <strong>und</strong> verbales Gedächtnis<br />

Als »exekutive« bzw. »kognitive Kontrollfunktionen« wird die kognitive Gr<strong>und</strong>lage der<br />

menschlichen Fähigkeit bezeichnet, Verhalten auf der Gr<strong>und</strong>lage überdauernder internaler<br />

Repräsentationen <strong>und</strong> wechselnder Kontextinformation, d. h. korrektiver Rückmeldung,<br />

flexibel zu steuern <strong>und</strong> so an die wechselnden Erfordernisse der Umwelt anzupassen (z. B.<br />

KERNS et al., 2008). <strong>Exekutivfunktionen</strong> werden in der Literatur vielfältig <strong>und</strong> unterschiedlich<br />

breit definiert, die Definitionen beinhalten aber meist Hinweise auf Handlungsplanung<br />

<strong>und</strong> -ausführung, Aufmerksamkeitslenkung <strong>und</strong> Kategorienwechsel, Fehlerdetektion, das<br />

Bearbeiten von Gedächtnisinhalten <strong>und</strong> die Hemmung von irrelevanten Informationen,<br />

Impulsen <strong>und</strong> Handlungstendenzen (MÜLLER, 2008; PALMER & HEATON, 2000). <strong>Exekutivfunktionen</strong><br />

<strong>und</strong> Arbeitsgedächtnis wurden bereits ausführlich in Kapitel 3 beschrieben.<br />

Der Bereich der <strong>Exekutivfunktionen</strong> <strong>und</strong> des Arbeitsgedächtnisses gilt seit Beginn der<br />

neueren Forschung zur <strong>Krankheitseinsicht</strong> in den 90er Jahren des 20. Jh. als meistversprechender<br />

Ansatzpunkt einer kognitiven Ätiologie der Uneinsichtigkeit bei Schizophrenie<br />

(s. YOUNG et al., 1998). Die Beziehung zwischen diesem Bereich <strong>und</strong> Einsicht wird aus<br />

mehreren Gründen untersucht:<br />

Erstens zeichnen theoretische <strong>und</strong> phänomenale Analysen Parallelen zwischen <strong>Exekutivfunktionen</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Krankheitseinsicht</strong> (s. o.) – eine selbst-reflexive »Einsicht« in die eigene<br />

Situation <strong>und</strong> Verfassung ohne »exekutive« geistige Funktionen <strong>und</strong> Arbeitsgedächtnis<br />

erscheint nicht nur auf dem Gebiet der psychischen Erkrankungen <strong>und</strong>enkbar.<br />

Zweitens wird die Schizophrenie seit den 90er Jahren des 20 Jh. (wieder) verstärkt aus<br />

einer kognitiven Perspektive betrachtet (GREEN & NUECHTERLEIN, 1999) <strong>und</strong> generell<br />

versucht, Erkrankungsphänomene wie Symptomatik <strong>und</strong> Störungen sozialer Funktionen<br />

aus kognitiven »Kernsymptomen« abzuleiten (FRITH, 1992; GREEN, KERN, BRAFF & MINTZ,<br />

2000; s. aber bereits BLEULER, 1911). Kognitive Erklärungen schizophrener Einsichtsdefizite<br />

sind Teil dieses erstarkenden Paradigmas.<br />

Drittens haben die Ergebnisse der kognitiven Schizophrenieforschung belegt, dass<br />

Störungen der <strong>Exekutivfunktionen</strong> bei Schizophrenie ebenso verbreitet sein dürften wie<br />

mangelnde <strong>Krankheitseinsicht</strong>. So fanden mehrere quantitative Metaanalysen Unterschiede<br />

zwischen Probanden mit Schizophrenie-Diagnosen <strong>und</strong> Kontrollprobanden in Höhe von<br />

knapp einer Standardabweichung (HEINRICHS & ZAKZANIS, 1998; JOHNSON-SELFRIDGE &

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