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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Empirisch wurden Hypothesen aus diesem Bereich bislang wenig geprüft: JOHNSON <strong>und</strong><br />

ORRELL (1996) sichteten Aktennotizen über 318 Londoner Psychiatriepatienten mit<br />

psychotischen Symptomen im Hinblick auf Einsicht. Sie fanden, dass 48 % der 203 weißen<br />

britischen Patienten als uneinsichtig beschrieben wurden, jedoch über 70 % der 75<br />

schwarzen Patienten (p < .01).<br />

WHITE, BEBBINGTON, PEARSON, JOHNSON <strong>und</strong> ELLIS (2000) fanden demgegenüber lediglich<br />

signifikante Unterschiede in der Ursachenattribution zwischen in Großbritannien <strong>und</strong><br />

im Ausland (v. a. Afrika, Karibik) geborenen Patienten, nicht aber in der gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Einsicht. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen MCCABE <strong>und</strong> PRIEBE (2004), die fanden,<br />

dass weiße Briten häufiger biologische Ursachen ihrer Erkrankung (35 %) nannten als<br />

anglokaribische, afrikanische <strong>und</strong> indische Migranten der zweiten Generation (hier<br />

0 bis 11 %), die häufiger übernatürliche Ursachen angaben (z. B. Westafrikaner: 29 %).<br />

Der kulturelle Hintergr<strong>und</strong> scheint also vorwiegend das explanative Modell schizophrener<br />

Patienten zu beeinflussen, nicht aber die gr<strong>und</strong>legende Anerkennung psychischer<br />

Probleme. SARAVANAN et al. (2005) fordern daher auch, die Beurteilung von Einsicht auf<br />

kulturspezifische Krankheitskonzepte, Symptombewusstheit, <strong>und</strong> allgemeines Hilfesuchverhalten<br />

zu gründen. Dies ist allerdings keine neue Forderung, hatten doch schon AMADOR<br />

et al. (1991) Uneinsichtigkeit auf Fälle begrenzt »… in which an individual's perception of<br />

himself is grossly at odds with that of his community and culture« (S. 114).<br />

SARAVANAN et al. (2005) weisen ebenfalls darauf hin, dass Symptom-Bewusstheit in<br />

transkulturellen Studien die höchste Konsistenz <strong>und</strong> Gültigkeit aufwies <strong>und</strong> werten dies als<br />

Hinweis darauf, dass dieser Aspekt weitgehend kulturunabhängig <strong>und</strong> metakognitiv<br />

bedingt ist (SARAVANAN, JACOB, PRINCE, BHUGRA & DAVID, 2004).<br />

6.5.15.2 Klinische Sozialisations- <strong>und</strong> Normalisierungshypothesen<br />

Die hier so bezeichneten »klinischen Sozialisationshypothesen« postulieren einen Zusammenhang<br />

zwischen Einsicht <strong>und</strong> krankheitsbezogenen Wissensstrukturen bzw. der Möglichkeit<br />

ihrer Aneignung über Lernerfahrungen (THOMPSON et al., 2001). Es wurde bereits<br />

beschrieben, dass KO et al. (2006) in der Erfahrung mit Mitpatienten <strong>und</strong> der Wirkung von<br />

Antipsychotika wesentliche Wirkfaktoren bei der Entstehung von <strong>Krankheitseinsicht</strong> sehen.<br />

Eine zweite Quelle von Lernerfahrungen stellen korrektive Rückmeldungen der sozialen<br />

Umwelt dar – dies wird als »Normalisierungshypothese« bezeichnet (vgl. WHITE et al.,<br />

2000).<br />

Der bislang einzige Vorschlag eines Lernmodells der Einsicht stammt von MACPHERSON<br />

et al. (1996b, S. 720; Abbildung 10). Neben einem Pfad, der die Wirkungen von prämorbidem<br />

kognitiven Potenzial <strong>und</strong> Bildung widerspiegelt, wird ein zweiter Pfad für die Wirkung<br />

spezifischer Lernerfahrungen angenommen. Hierunter werden Psychoedukation <strong>und</strong><br />

Erfahrungen mit der eigenen Symptomatik verstanden (patient education and learning<br />

about illness). Leider wird das Modell von den Autoren kaum erläutert – es bleibt unklar,<br />

ob Erfahrungen mit der eigenen Positivsymptomatik (continuing florid sypmtoms) <strong>und</strong> den<br />

Reaktionen der sozialen Umwelt Einsicht fördern soll (Normalisierungsmodell), oder ob<br />

die Autoren eher auf die limitierende Wirkung persistierender psychotischer Zustände<br />

hinweisen wollen. Zusätzlich wird ein negativer Einfluss kognitiver Defizite auf die<br />

Akquisition von störungsspezifischem Wissen angenommen.

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