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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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Darstellung der wichtigsten tiefenpsychologischen Abwehr-Konzepte<br />

99<br />

Coping <strong>und</strong> Abwehr<br />

Das Dreigliedrige Modell der Ich-Funktionen von HAAN (1969, 1977) postuliert eine<br />

Taxonomie aus zehn attentionalen, kognitiven, reflexiv-introspektiven oder affektregulierenden<br />

Ich-Prozessen: (1.) abgrenzendes Unterscheiden (discrimination), (2.) freischwebende Denkvorgänge<br />

(detachment), (3.) kausale Denkvorgänge (means-ends), (4.) aufgeschobenes Reagieren<br />

(delayed response), (5.) sensibles Wahrnehmen (sensivity), (6.) Umkehrung des inneren Zeitablaufs<br />

(time reversion), (7.) selektives Wahrnehmen (selective awareness), (8.-9.) Umlenken <strong>und</strong><br />

Umwandeln von Affekten <strong>und</strong> (10.) Einschränkung des Affektausdrucks (Übersetzung durch<br />

HEIM, 1979, zitiert nach RÜGER, BLÖMERT <strong>und</strong> FÖRSTER, 1990). Jeder dieser Prozesse kann in drei<br />

komplementären Modi – Coping, Abwehr <strong>und</strong> Spaltung – ausgeübt werden: So kann selektive<br />

Aufmerksamkeit als Coping der bewussten Konzentration auf instrumentelles Verhalten dienen,<br />

im Abwehr-Modus jedoch der Leugnung. Die Verarbeitungsmodi sollen in ihrer Adaptivität,<br />

Flexibilität <strong>und</strong> Realitätsorientierung abnehmen <strong>und</strong> stellen, obwohl v. a. Bewältigung <strong>und</strong> Abwehr<br />

auch parallel praktiziert werden, gestaffelte Verteidigungsstellungen dar, die im Bemühen<br />

um die Wahrung des intrapsychischen Aequilibriums nacheinander bezogen werden. Außergewöhnliche<br />

Umstände (non-normative circumstances) vermögen im Extremfall starke, nicht ins<br />

Verhalten kanalisierbare Affekte zu erzeugen, die die Mediatorfunktion des Ich stören, koordiniertes<br />

instrumentelles Verhalten erschweren <strong>und</strong> so die Wahrscheinlichkeit defensiver <strong>und</strong><br />

fragmentierender Prozessmodi erhöhen. Nach HAAN (1977) verlaufen Ich-Prozesse im Abwehrmodus<br />

vorbewusst, sind also potenziell bewusstseinsfähig.<br />

Die kognitive Klassifikationstheorie der Abwehr von HOROWITZ et al. (z. B. 1990) nimmt<br />

wie HAAN (1977) an, dass Abwehrformen maladaptive Funktionsmodi basaler, allgemeiner kognitiver<br />

Kontrollprozesse (control processes) sind – diese weisen Parallelen zu Modellen des<br />

Arbeitsgedächtnisses <strong>und</strong> der <strong>Exekutivfunktionen</strong> auf. Kontrollprozesse werden in drei zentralen,<br />

ineinander greifenden Bereichen der Bewusstseinsregulation ausgeübt <strong>und</strong> werden nicht<br />

a priori im Hinblick auf ihren Anpassungswert beurteilt: (1.) mentale Verarbeitungscharakteristika<br />

(regulation of mental set) – in diesem Bereich wird kontrolliert, welche Punkte eine hohe<br />

Priorität auf der inneren Agenda genießen <strong>und</strong> entsprechend bewusst werden (intentional<br />

hierarchy), ob eine kurz- oder längerfristige Perspektive eingenommen wird (temporal set), ob<br />

aktive Inhalte nach strikten Denkgesetzen oder locker assoziativ aneinander gereiht werden<br />

(sequential set), in welchem Repräsentationsformat gearbeitet wird (representational set), wie<br />

die Aufmerksamkeit ausgerichtet wird (locus of attention) <strong>und</strong> ob Erregung angemessen herunter<br />

reguliert werden kann (activation level); (2.) Organisation repräsentierter (inter-) personaler<br />

Information (regulation of person schemas) – in dieser Domäne wird reguliert, welche Schemata<br />

des Selbst, anderer Personen <strong>und</strong> der Beziehungen zu ihnen aktiviert bzw. inhibiert werden<br />

(altering self person schema, other person schema, role relationship models); (3.) Repräsentationskontrolle<br />

(regulation of conscious representations and sequencing) – die Prozesse dieses<br />

Bereichs modulieren Repräsentationen, indem Assoziationen gehemmt oder gestärkt werden,<br />

indem Konzeptwechsel vorgenommen, die Informationsaufnahme erhöht, Information umbewertet<br />

<strong>und</strong> innere Arbeitsmodelle überarbeitet werden. Abwehr kann in allen drei Bereichen<br />

stattfinden: z. B. indem eine langfristige Perspektive mit ihren aversiven Implikationen vermieden<br />

wird (Bereich 1); indem ein ontogenetisch frühes Schema eigener Unverw<strong>und</strong>barkeit konkurrierende<br />

Schemata verdrängt (Bereich 2); indem angestrebte Assoziationsmuster durch Aufnahme<br />

kontradiktorischer oder relativierender Information (seeking information <strong>und</strong> disavowal)<br />

<strong>und</strong> Zurückhaltung in Gesprächen über das Abwehr-Objekt (communicative reluctance) konsolidiert<br />

werden. Nach HOROWITZ et al. (1990) können Kontrollprozesse sowohl vollständig unbewusst<br />

ablaufen wie auch willentlich initiiert werden.<br />

Das Reifungsmodell der Abwehr. VAILLANT (1977), der anhand längsschnittlich gesammelter<br />

biographisch-anamnestischer Daten die Entwicklung von Anpassung <strong>und</strong> Abwehr über die<br />

Lebensspanne untersuchte, nimmt an, dass der Abwehrstil ontogenetisch reift. Er formulierte

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