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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Der erste betrifft die schon von JASPERS (1913) thematisierte Pseudoeinsicht, also suggestive<br />

Lippenbekenntnisse aufgr<strong>und</strong> von Psychiatrie-Erfahrung, ohne dass Konsens über die<br />

Bedeutung der verwendeten Begriffe besteht (vgl. KINDERMAN, SETZU, LOBBAN & SALMON,<br />

2006; ROE et al., 2008), der zweite die Frage nach der prinzipiellen sozialen Verfügbarkeit<br />

von Informationen.<br />

Das Problem der Verfügbarkeit lässt sich weiter untergliedern in (a) den allgemeinen<br />

Aspekt der Vermittlung »sek<strong>und</strong>ärer« Evidenz für eine krankheitswertige Veränderung<br />

durch die soziale Umwelt (LEWIS, 1934; MARKOVÁ & BERRIOS, 1995a): Besteht die Möglichkeit<br />

<strong>und</strong> Bereitschaft zum Empfang korrektiver Rückmeldungen von Mitgliedern des<br />

sozialen Netzwerks? Ängstlicher sozialer Rückzug, soziale Anhedonie, ein nicht-sozialer<br />

Copingstil, Exklusion des Individuums <strong>und</strong> andere Faktoren mögen die Verfügbarkeit von<br />

einsichtsförderlichem Feedback begrenzen. In der Tat korreliert Einsicht mit sozialem<br />

Coping (COOKE, PETERS, FANNON et al., 2007) <strong>und</strong> geringerem Rückzugsverhalten<br />

(CERNOVSKY, LANDMARK, MERSKEY & HUSNI, 2004).<br />

Und (b) wirft die Feststellung der Wissensabhängigkeit von Einsicht die Frage nach<br />

einer hinreichenden Informationsvermittlung auf. Hier ist u. a. die Praxis der Diagnose-<br />

Eröffnung bei Schizophrenie zu beleuchten: Studien zeigen, dass ein nicht unerheblicher<br />

Teil der Behandlungsexperten (ca. 30 - 40 %) ihre Patienten nicht über die formal korrekte<br />

Schizophrenie-Diagnose informiert (CLAFFERTY, MCCABE & BROWN, 2001; MCDONALD-<br />

SCOTT, MACHIZAWA & SATOH, 1992).<br />

Eine sechste, für diese Arbeit zentrale Annahme, die der multifaktoriellen Ätiologie<br />

(s. Abschnitt 6.5.16), ist umstritten. Im Folgenden wird zunächst auf die bisher in der<br />

Literatur postulierten Dimensionen von Einsicht eingegangen (s. oben Postulat 1).<br />

GREENFELD et al. (1989), die 21 Personen mit verschiedenen Psychose-Erkrankungen<br />

während der Stabilisierungsphase zu ihren Erfahrungen mit ihrer Episode <strong>und</strong> Behandlung<br />

explorativ befragten, teilten die angesprochenen Themen in fünf Kategorien ein:<br />

(1.) Reflexion von Symptomen,<br />

(2.) Ansichten darüber, ob diese als Zeichen einer Krankheit zu werten sind,<br />

(3.) subjektive Konzepte der Ursachen,<br />

(4.) Behandlungseinstellungen <strong>und</strong><br />

(5.) Beurteilung der eigenen Vulnerabilität <strong>und</strong> Fähigkeit zur Rückfall-Vorbeugung.<br />

Die Autoren berichten von Inkonsistenzen zwischen den Ebenen (z. B. retrospektive<br />

Beschreibung von akustischen Halluzinationen <strong>und</strong> Verfolgungsideen in Kombination mit<br />

Aussagen wie »There isn’t anything really wrong with me« oder »I don’t think I was crazy<br />

or anything«, S. 248). Ebenfalls finden sich bereits Hinweise auf eine mögliche Abwehr<br />

durch Begriffssubstitution auf der Ebene der Erkrankungsidentität (z. B. »exhaustion«)<br />

oder – da den Autoren zufolge die Chronifizierung ein bedeutsames Abwehrobjekt zu sein<br />

scheint – der Dauer (»an episode«, S. 248) bei einem Drittel der Betroffenen. Hier<br />

überwogen, nicht überraschend, Personen mit Erstmanifestation.<br />

MCEVOY <strong>und</strong> Mitarbeiter (1989), die den ersten strukturierten Interviewleitfaden zur<br />

Einsicht publizierten, unterschieden nicht mehr zwischen einem rein reflexiven <strong>und</strong> einem<br />

normativ-attributiven Aspekt von Einsicht, sondern betonten die Gültigkeit des Expertenurteils<br />

bei der Formulierung des Krankheitsmodells. Zudem koppelten sie, expliziter als alle<br />

anderen Autoren, Einsicht an Behandlungseinstellungen. Einsicht liegt demnach vor, wenn<br />

festgestellt werden kann, dass »… patients with insight judge some of their … experiences

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