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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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12.3 Schlusswort<br />

331<br />

Diskussion<br />

Die vorliegende Arbeit ging von der Annahme aus, dass die Konstruktion von Erkrankungsrepräsentationen<br />

ein zu vielschichtiger Prozess ist, um allein durch die mit Schizophrenie<br />

einhergehenden kognitiven Beeinträchtigungen erklärt werden zu können. Es wurde<br />

argumentiert, dass neben psychotischen Erkrankungsphänomenen <strong>und</strong> neurokognitiven<br />

Defiziten auch motivationale Dispositionen des betroffenen Individuums, seine Wissensstrukturen<br />

<strong>und</strong> sein soziokultureller Kontext ihren Platz in einem multifaktoriellen Modell<br />

der <strong>Krankheitseinsicht</strong> einnehmen müssen, wenn diese umfassend verstanden werden soll.<br />

Der gef<strong>und</strong>ene substanzielle Anteil kognitiv intakter, stark uneinsichtiger Patienten <strong>und</strong> der<br />

separate Beitrag, den Defensivität über Positivsymptomatik <strong>und</strong> Kognition hinaus zu deren<br />

Identifikation leistet, sollte Anlass geben, die Suche nach non-kognitiven psychischen,<br />

sozialen <strong>und</strong> kulturellen Einflüssen auf Einsicht auf die Forschungsagenda zu setzen.<br />

Diese Forderung mag zwar dem in Rehabilitation <strong>und</strong> Psychotherapie tätigen Experten,<br />

der betroffene Menschen mit ihren existenziellen Ängste, ihren Versuchen des Begreifens<br />

<strong>und</strong> Bewältigens einer Psychose-Erkrankung begleitet, nahezu trivial erscheinen. Dass sie<br />

dennoch gestellt werden muss, wird nur im Hinblick auf einen Zeitgeist verstehbar, aus<br />

dem heraus nach einer Epoche nosologischer Erklärungsversuche seit Anfang der 1990er<br />

Jahre eine weitgehende Beschränkung auf kognitive <strong>und</strong> neurobiologische Korrelate der<br />

Einsicht vorgenommen <strong>und</strong> <strong>Exekutivfunktionen</strong> bzw. präfrontalen Gehirnarealen eine<br />

besondere Bedeutung zugemessen wurde. Die Entwicklung der Forschungslandschaft folgt<br />

hier dem biopsychiatrischen Mainstream, der sich nicht nur aus der zunehmenden<br />

Verfügbarkeit immer leistungsfähigerer Untersuchungsmethoden (v. a. der funktionellen<br />

Bildgebung) speist, sondern der auch mit der »neo-kraepelinianischen Revolution« der<br />

US-Psychiatrie <strong>und</strong> ihrem expliziten Fokus auf die biologischen Aspekte psychischer<br />

Erkrankungen verb<strong>und</strong>en ist (KLERMAN, 1978; COMPTON & GUZE, 1995). Diese »kognitivneurowissenschaftliche<br />

Wende« hat das Verständnis der Schizophrenie <strong>und</strong> die Möglichkeit<br />

zur Prädiktion ihrer funktionalen Konsequenzen zweifellos immens bereichert<br />

(s. GREEN et al., 1999, 2000) – auf dem Gebiet der <strong>Krankheitseinsicht</strong> scheint sie allerdings<br />

an ihre Grenzen zu stoßen (vgl. die Metaanalyse von ALEMAN et al., 2006).<br />

Die Zeit erscheint also reif für die Entwicklung eines biopsychosozialen Modells der<br />

Einsicht, das kognitiven <strong>und</strong> motivationalen Prozessen gleichermaßen Rechnung trägt <strong>und</strong><br />

die Ableitung von Interventionen ermöglicht, die auf das Individuum zugeschneidert <strong>und</strong><br />

bewältigungsorientiert sind. Hier ist zu denken an<br />

(a) eine nachvollziehbare Erklärung <strong>und</strong> Normalisierung psychotischer Symptome auf<br />

der Gr<strong>und</strong>lage von Bef<strong>und</strong>en zur Kontinuität entsprechenden Erlebens in der Population<br />

(JOHNS & VAN OS, 2001);<br />

(b) eine Ent-schuldigung der Person durch eine Erweiterung des ätiologisch-pathogenetischen<br />

Verständnisses auf der Gr<strong>und</strong>lage des Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modells<br />

(vgl. aber auch CORRIGAN & WATSON, 2004; LUCHINS, 2004);<br />

(c) eine Stärkung nicht-krankheitsbezogener Anteile der Person, <strong>und</strong> damit ihres<br />

Selbstwerts <strong>und</strong> ihrer Selbstwirksamkeit, durch erlebnisorientierte Maßnahmen zur Entdeckung<br />

<strong>und</strong> Entwicklung von Ressourcen auf der Gr<strong>und</strong>lage eines umfassenderen salutogenetischen<br />

Verständnisses von Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Krankheit (s. WIEDL & KAUFFELDT, 2009);<br />

(d) gezielte Entstigmatisierung durch eine Anfechtung negativer öffentlicher Stereotype<br />

sowie ggf. auch durch die Nutzung positiver Recovery-Beispiele, v. a. bei der Arbeit im<br />

Gruppensetting (z. B. LAUVENG, 2008);

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