06.10.2013 Aufrufe

Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

328<br />

Diskussion<br />

Art des aktuellen Copings muss dabei aber keineswegs mit aktueller Einsicht korrelieren,<br />

befindet sich das bewältigende Individuum doch in einem fortlaufenden Transaktionsprozess<br />

mit seiner Umwelt: Bewertungen, die den aktuellen Umgang mit Belastungen<br />

bestimmen, sind stets auch das Ergebnis vorauslaufender Bewältigungsbemühungen<br />

(LAZARUS & FOLKMAN, 1984). Diese können sich von gegenwärtigen Coping-Anstrengungen<br />

deutlich unterscheiden (z. B. aktiver gewesen sein) <strong>und</strong> werden von Einpunkt-Messungen<br />

nicht erfasst. »<strong>Krankheitseinsicht</strong>« kann also als fortlaufender Prozess der kognitiven<br />

Konstruktion spezifischer Bewältigungsgegenstände beschrieben werden, der in einer<br />

reziprok-interdependenten Beziehung zum Coping steht <strong>und</strong> qualitativ neue Bewältigungsgegenstände<br />

hervorbringen kann (vgl. MARKOVÁ & BERRIOS, 1995a), die wiederum neue,<br />

individuelle Coping-Reaktionen notwendig machen.<br />

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der potenziellen Äquifinalität unterschiedlicher<br />

Formen von Bewältigungshandlungen (vgl. FILIPP & KLAUER, 1988). Es ist zwar durchaus<br />

denkbar, dass Coping-Anstrengungen über ein Reappraisal <strong>Krankheitseinsicht</strong> reduzieren<br />

(z. B. indem ihr Outcome als inkonsistent mit der aktuellen Krankheitsrepräsentation<br />

beurteilt wird), dies kann jedoch auf unterschiedlichen Wegen bewirkt werden. Die<br />

gewählten Instrumente stehen in einer theoretischen Tradition, die eine Entflechtung von<br />

Form <strong>und</strong> Funktion (Fokus) der Bewältigung sowie empirische Outcome-Beurteilungen<br />

anstrebt (LAZARUS & FOLKMAN, 1984). Die Funktion eines Coping-Aktes wird bei dieser<br />

deskriptiven Herangehensweise jedoch vernachlässigt, was sich in der Coping-Forschung in<br />

der notorischen Instabilität von Faktor-Strukturen niederschlägt (SKINNER et al., 2003).<br />

Und schließlich kann von einem Einfluss eines generalisierten defensiven Reaktionsstils<br />

auf die Selbsteinschätzung des Bewältigungsstils ausgegangen werden: Gerade Patienten<br />

mit geringer Offenheit sollten eben jene Formen des Copings, für die ein Zusammenhang<br />

mit <strong>Krankheitseinsicht</strong> angenommen wurde, weniger repräsentieren oder einräumen. Ein<br />

Beleg für diese Annahme ergibt sich aus Korrelationen von Offenheit (ESI-FR) mit FKV-<br />

<strong>und</strong> CST-Skalen, die ausagierende, intrapsychisch-distanzierende <strong>und</strong> ruminative Verarbeitungsformen<br />

erfassen.<br />

Die Unsicherheit bezüglich stark defensiver Probanden geht jedoch noch tiefer: Es kann<br />

nicht ausgeschlossen werden, dass gerade die Freiheitsgrade von Coping-Skalen bei der<br />

Auswahl <strong>und</strong> Interpretation von Bewältigungsgegenständen vielfältige Möglichkeiten zu<br />

Abwehr bzw. kognitiver Vermeidung persönlich brisanter Themen bieten.<br />

Schon in diesen kurzen Ausführungen zeichnet sich ab, dass kontinuierliche Modelle<br />

<strong>und</strong> Querschnittsmessungen mit Trait-Skalen nicht ausreichen könnten, um die Komplexität<br />

des Krankheitsverarbeitungsprozesses bei Schizophrenie angemessen zu erfassen. Eine<br />

Antwort auf diese theoretischen Herausforderungen könnte in der Entwicklung <strong>dynamisch</strong>er<br />

Stadienmodelle von Einsicht <strong>und</strong> Bewältigung einer Schizophrenie bestehen, die<br />

phasenspezifische Bewältigungsaufgaben <strong>und</strong> -formen sowie Phasenübergänge berücksichtigen<br />

<strong>und</strong> die jeweiligen neurokognitive Voraussetzungen spezifizieren.<br />

Die wenigen Modelle zur Entstehung von Einsicht (MARKOVÁ & BERRIOS, 1995a; KO et<br />

al., 2006; LINCOLN et al., 2007) legen nahe, dass sinnstiftende <strong>und</strong> symptomzentrierte<br />

Bewältigungsprozesse in einem frühen Stadium verortet werden sollten, während die<br />

Anpassung an eine veränderte Lebensumwelt (z. B. Bewusstheit sozialer Konsequenzen) in<br />

späteren Stadien anzusiedeln ist. Es liegen nur wenige quantitative empirische Arbeiten<br />

vor, die erste Schritte in diese Richtung gehen. Hier wäre die Studie von ROE et al. (2008)<br />

zu nennen, die durch qualitative <strong>und</strong> quantitative Methoden Subgruppen von Tagesklinik-<br />

Patienten mit verschiedenen Konfigurationen der Ausprägung auf einsichts- <strong>und</strong> copingrelevanten<br />

Variablen beschrieben. So ließen sich Patienten identifizieren, die zwar die

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!