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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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324<br />

Diskussion<br />

verbreitete Stigmatisierung von Menschen mit Schizophrenie-Diagnosen. In Abschnitt 6.4<br />

wurde dargestellt, dass die Übernahme der Patientenrolle mit einer Verinnerlichung<br />

assoziierter negativer Stereotype einhergehen kann (LALLY, 1989; CORRIGAN & RÜSCH,<br />

2002). Eine Abgrenzung gegen die stigmatisierte Gruppe <strong>und</strong> eine Verheimlichung des<br />

Etiketts müssen als einsichtsreduzierende Krankheitsverarbeitungsformen zur Stabilisierung<br />

des Selbstwerts in Betracht gezogen werden. Hieraus leitet sich die Empfehlung ab,<br />

in die Erforschung von <strong>Krankheitseinsicht</strong> künftig ein Instrument zur Erfassung von<br />

Vorurteilen (d. h. geteilten negativen Stereotypen) gegenüber Menschen mit psychischen<br />

Erkrankungen einzubeziehen. Ein solches ist z. B. die Self-Stigma of Mental Illness Scale<br />

(SSMIS: CORRIGAN, WATSON & BARR, 2006), die die Möglichkeit bietet, Stereotypen-<br />

Wahrnehmung, Vorurteile <strong>und</strong> Selbststigmatisierung separat zu erfassen. Eine weitere<br />

Vorhersage betrifft die Möglichkeit einer positiven Wirkung entstigmatisierender Interventionen<br />

auf <strong>Krankheitseinsicht</strong>, die sich sogar im Rahmen einer randomisierten kontrollierten<br />

Studie überprüfen ließe.<br />

Viertens wurde dargelegt, dass nicht unbedingt davon ausgegangen werden kann, dass<br />

Offenheit auf Gruppenebene hoch mit <strong>Krankheitseinsicht</strong> korreliert, sondern dass eine<br />

Moderation des Zusammenhangs durch weitere klinische <strong>und</strong> Verlaufsmerkmale wahrscheinlich<br />

ist. Die betrachtete Stichprobe bietet aufgr<strong>und</strong> ihrer Heterogenität <strong>und</strong> Größe<br />

(n = 95) noch die Möglichkeit der Überprüfung solcher oft geringen Moderationseffekte,<br />

was positiv hervorzuheben ist. Zugleich sollten die berechneten Regressionsmodelle<br />

aufgr<strong>und</strong> des Prädiktor-N-Verhältnisses mit Vorsicht betrachtet <strong>und</strong> weiter validiert<br />

werden (s. GREEN, 1991).<br />

Mit LALLY (1989) <strong>und</strong> THOMPSON et al. (2001) wurde argumentiert, dass mit einer längeren<br />

Erkrankungsdauer die Möglichkeit <strong>und</strong> Motivation zur Abwehr abnehmen sollte:<br />

Einsichtsfördernde Lerngelegenheiten nehmen zu (z. B. Therapie, Rehospitalisierungen,<br />

Erfahrungen mit positiven Medikationswirkungen, Vergleich mit Mitpatienten u. a.: vgl. KO<br />

et al., 2006), was die Ambiguität des eigenen Zustands verringert. Eine geringe Ambiguität<br />

potenziell bedrohlicher Informationen stellt aber eine ungünstige Bedingung für Abwehr<br />

dar (DERAKSHAN & EYSENCK, 1997b; JOHNSON, 1995). Im Rahmen der klinischen Sozialisation<br />

ändern sich zudem die Normen angepassten Verhaltens (z. B. durch den Einfluss von<br />

Behandlungspersonal), was einen Einfluss auf sozial erwünscht reagierende Patienten<br />

haben sollte.<br />

Aus diesen Überlegungen wurden zwei potenzielle Moderatorvariablen abgeleitet, die in<br />

multiplen Regressionsmodellen signifikant wurden. Dies sind (a) die Anzahl an stationären<br />

Aufenthalten <strong>und</strong> (b) die Positivsymptomatik, wobei für letztere erwartungsgemäß <strong>und</strong> im<br />

Widerspruch zu SUBOTNIK et al. (2005) gef<strong>und</strong>en wurde, dass Defensivität v. a. bei gering<br />

ausgeprägter Symptomatik Einsicht vorhersagt. Die Ursache könnte sowohl darin zu sehen<br />

sein, dass sich die Krankheitszuschreibung in asymptomatischen Erkrankungsphasen<br />

leichter zurückweisen lässt, als auch darin, dass ausgeprägte Symptomatik Einsicht auf<br />

anderen Wegen reduziert <strong>und</strong> den Einfluss des Verarbeitungsstils abschwächt. Analog<br />

hierzu nahm STARTUP (1996) an, dass Patienten mit ausgeprägten neurokognitiven Beeinträchtigungen<br />

keinen konsistenten Verarbeitungsstil organisieren können.<br />

Ein weiterer potenzieller Moderator, der hier nicht berücksichtigt wurde, ist das oben<br />

erörterte Stigma psychischer Erkrankung: Möglicherweise wird diese nur bei ausgeprägten<br />

Vorurteilen <strong>und</strong> der entsprechenden Gefahr der Selbststigmatisierung zu einem bedrohlichen<br />

Abwehrobjekt. Würden künftig auch Vorurteile erfasst, könnte erstmalig eine<br />

Interaktion von Stereotypen-Zustimmung <strong>und</strong> Offenheit bei der Vorhersage von Einsicht<br />

geprüft werden.

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