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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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6.5.14 Motivationale Hypothesen: Abwehr <strong>und</strong> Coping<br />

169<br />

<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Nachdem in den vorhergehenden Abschnitten Annahmen zu gestörten kognitiven Funktionen<br />

<strong>und</strong> den ihnen zugr<strong>und</strong>eliegenden Gehirnstrukturen als Gr<strong>und</strong>lage von Einsichtsdefiziten<br />

vorgestellt wurden, folgen nun drei ätiologische Perspektiven, die Uneinsichtigkeit als<br />

Ausdruck der Verarbeitung der Erkrankung Schizophrenie werten. Diese konzeptualisieren<br />

Einsichtsdefizite als Ausdruck (1.) des Strebens nach Konsistenz des Selbst, (2.) eines<br />

generalisierten defensiven Umgangs mit affektiv negativ besetzten Objekten <strong>und</strong> (3.) einer<br />

Form der spezifischen vermeidenden Bewältigung von Krankheiten, die entweder auf ein<br />

eingeschränktes kognitiv-behaviorales Repertoire an Coping-Reaktionen oder auf einen<br />

personalen Stil zurückzuführen ist. Wie deutlich werden wird, unterscheiden sich diese<br />

Betrachtungsweisen zwar in ihrer theoretischen Provenienz <strong>und</strong> Terminologie, weisen aber<br />

auch deutliche Überlappungen auf.<br />

6.5.14.1 Theoretische Perspektiven auf motivierte Uneinsichtigkeit<br />

Die erste theoretische Perspektive postuliert, dass Menschen eine Bestätigung, Konsistenz<br />

<strong>und</strong> Kontinuität ihres Selbstkonzepts anstreben (»Consistency Seeker«-Modelle der Selbstwahrnehmung<br />

sensu ROBINS <strong>und</strong> JOHN, 1997). Das Erlebnis einer psychotischen Episode<br />

<strong>und</strong> die Diagnose einer tiefgreifenden, chronischen psychischen Erkrankung gefährden die<br />

Kontinuität des Selbst, was zum Versuch der Normalisierung <strong>und</strong> der Identifikation mit der<br />

Gruppe der Ges<strong>und</strong>en führt (z. B. über psychosoziale Kausalattributionen, Zurückweisung<br />

der Diagnose).<br />

Die Konsistenzannahme wurde von ESTROFF (1989) aus soziologischer bzw. psychiatrisch-anthropologischer<br />

Perspektive beschrieben: »… the patient's protest or rejection of<br />

redefinition via diagnosis (or confinement) could signal something altogether different<br />

from pathology. It could be a cry for recognition of persisting, healthy, trying-to-survive<br />

self and personhood« (S. 191). Auch die in Abschnitt 6.4 skizzierte Stigmaforschung kann<br />

am ehesten hier subsumiert werden (v. a. was die Zurückweisung von Stigmata betrifft: vgl.<br />

O’MAHONY, 1982), obwohl sie durchaus auch mit den folgenden Perspektiven kompatibel<br />

ist, insofern als Stigmata negative Affekte auslösen bzw. Bewältigungsaufgaben stellen.<br />

Aus (sozial-)psychologischer Perspektive hat GREENWALD (1980) in seiner Theorie des<br />

»totalitären Ichs« argumentiert, dass egozentrische, attributive <strong>und</strong> konservative Verzerrungen<br />

eine notwendige Folge der evolvierten kognitiven Selbstorganisation des Wissens<br />

darstellt. Auch TAYLOR <strong>und</strong> BROWN (1987) sehen in der Aufrechterhaltung von »Illusionen«<br />

zur Bewahrung von Selbstwert, Selbstwirksamkeit <strong>und</strong> Optimismus durch kognitive Verzerrungen<br />

einen normalpsychischen, adaptiven <strong>und</strong> keinen neurotischen Abwehr-Prozess.<br />

Passend zu diesen Annahmen fanden SACKEIM <strong>und</strong> WEGNER (1986), dass Probanden mit<br />

Schizophrenie im Gegensatz zu solchen mit Depression bei der Attribution experimentell<br />

induzierter Erfolge <strong>und</strong> Fehlschläge die gleichen selbstwertdienlichen Verzerrungen zeigten<br />

wie nicht erkrankte Probanden. O’MAHONY (1982) zeigte an 50 ersterkrankten psychiatrischen<br />

Patienten, dass diese auf semantischen Differentialen zwar Abweichungen ihres<br />

aktuellen Zustands vom üblichen einräumten (u. a. »anxious«, »nervous«), dass aber positive<br />

Eigenschaften deutlich überwogen (»civilized«, »sensitive«, »intelligent«). Gleichzeitig<br />

wurde eine deutliche Distanz zur Gruppe der »mentally ill« gewahrt, die u. a. als signifikant<br />

stärker »disturbed«, »different«, »confused« <strong>und</strong> »unpredictable«, <strong>und</strong> sogar als stärker<br />

»depressed« <strong>und</strong> »unbalanced« eingeschätzt wurden.

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