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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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6.2 Subjektive Krankheitskonzepte: qualitative Studien<br />

114<br />

<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Bei der Erforschung subjektiver Krankheitskonzepte von Menschen mit Schizophrenie-<br />

Diagnosen sind Inhaltsanalysen von Interviewmaterial ein vielversprechender erster<br />

Schritt, um einen Eindruck der Problembewusstheit zu gewinnen <strong>und</strong> einen Katalog<br />

subjektiver Erklärungsmodelle aufzustellen.<br />

Es existieren wenige Arbeiten zu der Frage, wie Menschen mit Schizophrenie ihre<br />

Erkrankung selbst bezeichnen: FERRERI et al. (2000) befragten 304 nicht-stationäre<br />

französische Schizophrenie-Patienten, ob sie den Namen ihrer Erkrankung wüssten, was<br />

trotz einer mittleren Verlaufsdauer von 12 (±9) Jahren nur 62 % bejahten. Von diesen<br />

gaben 93 (58 %) eine psychiatrisch korrekte Bezeichnung an (z. B. »état psychotique«), der<br />

Rest nannte einzelne Symptome bzw. Umschreibungen (9 %), kognitive oder Persönlichkeits-Probleme<br />

(7 %), emotionale Störungen (17 %), sonstige Diagnosen (z. B. »obsessions«)<br />

oder idiosynkratische Bezeichnungen (6 %) oder dominierende erkrankungsbezogene<br />

soziale <strong>und</strong> Anpassungs-Probleme (3 %).<br />

Die qualitative Erforschung subjektiver Krankheitskonzepte beschäftigt sich allerdings<br />

primär mit Überzeugungen über Ursachen psychischer Probleme: Mehrere Arbeiten<br />

suchten hierzu nach Themen in den Narrativen von Betroffenen. Hierbei kann festgehalten<br />

werden, dass die überwiegende Mehrheit irgendeine Form von Krankheitsbewusstheit zeigt<br />

(z. B. 84 % der 50 befragten Patienten von DITTMANN <strong>und</strong> SCHÜTTLER, 1990) <strong>und</strong> versucht,<br />

ein »explanatives Modell« (KLEINMAN, 1980) ihres Zustandes zu konstruieren.<br />

SAYRE (2000) untersuchte die Inhalte von Gesprächen mit 35 stationär aufgenommenen<br />

Personen mit Schizophrenie-Diagnosen über die Ursachen ihrer Hospitalisierung <strong>und</strong> fand<br />

sechs Kategorien, die mit zunehmender Ablehnung der Behandlung einhergingen: (1.) die<br />

Attribution auf Persönlichkeitsmerkmale oder Verhaltensweisen („Probleme“); (2.) die<br />

Attribution auf physiologische Prozesse („Krankheit“); (3.) die Attribution auf stressvolle<br />

Lebens-Ereignisse bzw. -Umstände oder Erlebensqualitäten, die als zeitlich begrenzt<br />

gesehen werden („Krise“); (4.) die Attribution auf göttliche Einflussnahme („Bestrafung“);<br />

(5.) die Attribution auf Missverständnisse mit der sozialen Umwelt bezüglich der eigenen<br />

Sonderrolle <strong>und</strong> Aufgabe im Leben – diese Patienten waren im psychiatrischen Sinne<br />

wahnhaft; <strong>und</strong> (5.) die Rechtsverletzungs-Attribution auf widerrechtliche Zwangsmaßnahmen,<br />

denen mit Protest oder Rückzug begegnet wird. Das Krisen-Modell ließ sich am<br />

häufigsten nachweisen (38 %), gefolgt von der somatischen Ursachenzuschreibung (20 %).<br />

JACOBSON (2001) analysierte 30 veröffentlichte autobiographische Geschichten von<br />

Betroffenen <strong>und</strong> beschrieb sechs explanative Modelle von Erkrankung <strong>und</strong> Erholung: (1.)<br />

das biologische Modell einer genetisch-neurobiologischen Ätiologie; (2.) das Trauma-<br />

Modell, das den Ursprung einer Störung in pathogenen Faktoren der kindlichen Umwelt<br />

<strong>und</strong> des Behandlungsumfeldes verortet; (3.) das Diathese-Stress-Modell, das ein Zusammenspiel<br />

biologischer Anfälligkeit <strong>und</strong> externer Auslöser annimmt; (4.) das spirituellphilosophische<br />

Modell, das die psychische Krise als Teil der Selbstentwicklung sieht<br />

(s. auch SIEBERT, 2000); (5.) das politische Modell, das psychiatrische Erkrankungen als<br />

Fiktion <strong>und</strong> die Psychiatrie als Instrument sozialer Kontrolle interpretiert; <strong>und</strong> (6.) das<br />

Stigmatisierungsmodell (Spirit-breaking), das den Prozess der (Selbst-) Stigmatisierung<br />

<strong>und</strong> die aus ihm resultierende Angst <strong>und</strong> Hoffnungslosigkeit betont.<br />

ANGERMEYER <strong>und</strong> KLUSMANN (1988) befragten 198 Personen mit verschiedenen Psychose-Erkrankungen<br />

zu möglichen Krankheitsursachen. Zwar nahmen mindestens 40 bis 60 %<br />

der Personen mit Diagnosen des Schizophrenie-Spektrums multifaktorielle Ursachenzuschreibungen<br />

vor; psychische <strong>und</strong> soziale Ursachen wurden jedoch einzeln <strong>und</strong> in

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