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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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6.5.2 <strong>Krankheitseinsicht</strong>: Begriffsklärung<br />

129<br />

<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

An dieser Stelle sei zur leichteren Orientierung dem Abschnitt über neuere Konzepte zur<br />

Einsicht eine theoretische Verortung <strong>und</strong> Abgrenzung der verwendeten Begriffe »Einsicht«,<br />

»Bewusstheit«, »Leugnung« <strong>und</strong> »Anosognosie« vorangestellt.<br />

Einsicht <strong>und</strong> Veränderungsgefühl. »Einsicht« (engl. insight) wird erstens, wie in<br />

der angelsächsischen Literatur üblich, trotz des paternalistisch anmutenden Duktus als<br />

Oberbegriff des Forschungsfeldes verwendet <strong>und</strong> soll zweitens, als »<strong>Krankheitseinsicht</strong>«<br />

im engeren Sinne, die Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Krankheitsmodell<br />

bezeichnen. Auch ohne Einsicht kann durchaus ein »Veränderungsgefühl«<br />

sensu JASPERS (1913) bestehen. Dies kann allerdings auch der sog. Wahnstimmung<br />

(z. B. FUCHS, 2005) im Vorfeld einer psychotischen Episode entsprechen.<br />

Bewusstheit (awareness) soll die Gewahrwerdung der Exzessivität oder Reduktion<br />

von Bereichen des Erlebens oder Verhaltens <strong>und</strong> speziell die Einsicht der mangelnden<br />

Objektivierbarkeit der eigenen Wahrnehmungen <strong>und</strong> Überzeugungen beschreiben<br />

(»Symptombewusstheit«), ohne dass diese Einschätzung an ein Krankheitsmodell<br />

geb<strong>und</strong>en sein muss <strong>und</strong> ohne dass ätiologische Aussagen getroffen werden.<br />

Leugnung (denial: s. WEINSTEIN & KAHN, 1955), die motivierte, häufig emphatische<br />

Zurückweisung einer Beschreibung der körperlichen oder psychischen Verfassung als<br />

krankheitswertig, wird hier nicht als Antonym von Einsicht verwendet, sondern entstammt<br />

ursprünglich psycho<strong>dynamisch</strong>en Konzepten, die Uneinsichtigkeit als Form<br />

der Krankheitsbewältigung durch Abwehr deuten (s. Abschnitt 6.5.14). Darüber hinaus<br />

wurde Leugnung im Rahmen medizinsoziologischer Überlegungen thematisiert – etwa<br />

als Aspekt abnormen Krankheitsverhaltens (abnormal illness behaviour) sensu<br />

PILOWSKY (z. B. 1969, 1978; vgl. KIRMAYER & LOOPER, 2006). Leugnung ist keineswegs<br />

beschränkt auf psychische Störungen: Diskutiert wird ihre Relevanz auch für Verlauf<br />

<strong>und</strong> Ausgang lebensbedrohlicher somatischer Erkrankungen wie Myokardinfarkte<br />

(O'CARROLL, SMITH, GRUBB, FOX & MASTERSON, 2001; LEVINE et al., 1987) <strong>und</strong> verschiedene<br />

Krebsarten (DEIMLING ET AL., 2006; MCKENNA, ZEVON, CORN & ROUNDS, 1999).<br />

Einen Überblick über Verleugnung von körperlichen Krankheiten vermitteln KORTTE<br />

<strong>und</strong> WEGENER (2004) <strong>und</strong> GOLDBECK (1997). Im Zusammenhang mit Krankheitsuneinsichtigkeit<br />

bei Schizophrenie wird der Begriff zwar ohne seinen häufig komplexen<br />

psycho<strong>dynamisch</strong>en Unterbau verwendet, soll jedoch durchaus eine motivierte Diskrepanz<br />

zum psychiatrischen Krankheitsmodell ausdrücken.<br />

Anosognosie. Ebenfalls mit einer spezifischen ätiologischen Hypothese verb<strong>und</strong>en<br />

ist der von BABINSKI (1914) eingeführte medizinische Begriff der »Anosognosie«, der<br />

eine Reihe neurologisch-neuropsychologischer Syndrome nach zerebralen Insulten<br />

oder anderen Läsionen umfasst, die mit der Unbewusstheit einer kognitiven <strong>und</strong>/oder<br />

sozialen Funktionsbeeinträchtigung einhergehen (MCGLYNN & SCHACTER, 1989, 1997).<br />

Wenn eine »Anosognosie-Hypothese« der Uneinsichtigkeit bei Schizophrenie thematisiert<br />

wird (AMADOR & PAUL-ODOUARD, 2000; DAVID & KEMP, 1997; DIXON & KING,<br />

1995), impliziert dies eine neurobiologisch-kognitive Perspektive auf das Phänomen.

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