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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

6.5.11 Theoretische Perspektiven auf die Genese von Einsichts-Defiziten<br />

In den folgenden Abschnitten werden theoretische Perspektiven auf das Phänomen der<br />

mangelnden <strong>Krankheitseinsicht</strong> bei Schizophrenie erörtert, die im Lauf der vergangenen<br />

zwei Jahrzehnte formuliert bzw. wiederentdeckt wurden (vgl. COOKE, PETERS, KUIPERS &<br />

KUMARI, 2005; AMADOR & DAVID, 2004; BÖKER, 1999). Es lassen sich vier konkurrierende<br />

ätiologische Sichtweisen unterscheiden, von denen drei die Überprüfung von spezifischen<br />

Zusammenhangshypothesen erlauben. Außerdem nehmen einige Autoren eine multifaktorielle<br />

Verursachung an.<br />

(a) Die nosologische oder »klinische« Hypothese der Uneinsichtigkeit nimmt an, diese<br />

sei der Erkrankung inhärent (im Sinne eines Symptoms). Sie stellt damit gewissermaßen<br />

eine Nullhypothese dar.<br />

(b) Neurobiologisch-kognitive Hypothesen nehmen Defizite der Informationsverarbeitung<br />

als Ursache mangelnder <strong>Krankheitseinsicht</strong> an. Als empirische Evidenz werden Korrelationen<br />

zwischen kognitiven <strong>und</strong> Einsichts-Variablen angeführt (ALEMAN et al., 2006).<br />

Für die neuro- bzw. metakognitiven Defizite werden überdies enge Zusammenhänge mit<br />

der somatischen Ebene vermutet: Speziell die Anosognosie-Hypothese, die aus der Beobachtung<br />

mangelnder Bewusstheit von Funktionseinschränkungen bei Patienten mit<br />

bestimmten (v. a. rechtshemisphärischen) Gehirnläsionen abgeleitet wurde, betont den<br />

Primat zentralnervöser (v. a. präfrontaler) Defekte bei der Erklärung schizophrener<br />

Einsichtsdefizite (AMADOR et al., 1991; MCGLYNN & SCHACTER, 1997; SHAD, TAMMINGA,<br />

CULLUM, HAAS & KESHAVAN, 2006; PIA & TAMIETTO, 2006). Entsprechend wurde versucht,<br />

das neurobiologische Substrat der Uneinsichtigkeit mit bildgebenden <strong>und</strong> morphometrischen<br />

Verfahren zu finden (z. B. ROSSELL, COAKES, SHAPLESKE, WOODRUFF & DAVID, 2003;<br />

FLASHMAN et al., 2001).<br />

(c) Motivationale Hypothesen sehen in Uneinsichtigkeit entweder das Resultat eines<br />

allgemein defensiven Umgangs mit persönlichen Schwächen <strong>und</strong> Makeln (Defensivitätshypothese)<br />

oder eine spezifische Form der Krankheitsverarbeitung (Coping-Hypothese).<br />

Dieser Ansatz fußt auf Arbeiten, die die große Bedeutung der Krankheitsbewältigung <strong>und</strong><br />

copingrelevanter Persönlichkeitsmerkmale bei Schizophrenie belegen konnten (zusammenfassend<br />

z. B. WIEDL & SCHÖTTNER, 1989).<br />

(d) Soziokulturelle Lernhypothesen thematisieren die Bedeutung kultureller <strong>und</strong> individueller<br />

Wissensstrukturen <strong>und</strong> Überzeugungen bzw. Lern-Umgebungen für Einsicht. Sie<br />

lassen sich je nach Akzentsetzung in zwei Gruppen einteilen:<br />

(d1) Kulturelle-Distanz-Hypothesen betonen die Bedeutung des soziokulturellen Kontextes<br />

für die Konstruktion <strong>und</strong> Bewusstheit von »Krankheit« <strong>und</strong> des kulturellen Unterschieds<br />

zwischen Patient <strong>und</strong> Behandler für die Beurteilung von »Einsicht« (JOHNSON &<br />

ORRELL, 1995; SARAVANAN, JACOB, PRINCE, BHUGRA & DAVID, 2004).<br />

(d2) Klinische Sozialisationshypothesen weisen darauf hin, dass individuelle erkrankungsspezifische<br />

Kenntnisse, gewonnen durch Erfahrungslernen <strong>und</strong> Wissensvermittlung,<br />

eine Voraussetzung von Einsicht darstellen (MACPHERSON et al., 1996b).<br />

(e) Multifaktorielle Modelle nehmen schließlich an, dass sowohl kognitive als auch<br />

motivationale Merkmale die Ausprägung von <strong>Krankheitseinsicht</strong> bei Schizophrenie<br />

beeinflussen. Hier ist v. a. das Modell von STARTUP (1996) zu nennen.

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