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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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323<br />

Diskussion<br />

zur hirnorganisch verursachten Anosognosie gedeutet werden (MCGLYNN & SCHACTER,<br />

1989, 1997), ist dies keineswegs trivial.<br />

Dies leitet über zum nächsten Gesichtspunkt: Der Beitrag von Defensivität zur Erklärung<br />

von Uneinsichtigkeit ist auf Gruppenebene zweifellos gering. Unabhängig von den<br />

Implikationen für die therapeutisch-bedingungsanalytische Betrachtung des Einzelfalls<br />

wäre es jedoch aus einer biopsychiatrischen Perspektive heraus voreilig, dieses Ergebnis<br />

aufgr<strong>und</strong> geringer Varianzaufklärung als inhaltlich insignifikant zu verwerfen. Hier nämlich<br />

sieht die Bef<strong>und</strong>lage quantitativ durchaus vergleichbar aus: Die Metaanalyse von ALEMAN<br />

et al. (2006), die einen Zusammenhang von Kognition <strong>und</strong> Einsicht belegte, wartete mit<br />

einem mittleren Effekt von r = .23 (95 %-CI: .15 - .30) auf. Der Unterschied zwischen der<br />

empirischen F<strong>und</strong>ierung von Anosognosie- <strong>und</strong> Leugnungs-Modell besteht also derzeit vor<br />

allem in der statistischen Konfidenz. Auf beiden Seiten können aufgr<strong>und</strong> der meist nicht<br />

vermeidbaren nicht-experimentellen Untersuchungen Tertium-quid-Probleme nicht ausgeschlossen<br />

werden.<br />

Es können einige allgemeine Empfehlungen für die künftige Forschung abgegeben<br />

werden: Erstens würden weitere Replikationsstudien, die sich der Untersuchung von<br />

Einsicht <strong>und</strong> Defensivität verschreiben, helfen, auch hier über eine metaanalytische Integration<br />

der Ergebnisse <strong>und</strong> ggf. Moderatoranalysen Klarheit in dieser Frage herzustellen<br />

<strong>und</strong> der motivationalen Perspektive entweder wissenschaftliche Plausibilität zu verleihen<br />

oder sie zu verwerfen.<br />

Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf die Reliabilität <strong>und</strong> inhaltliche Angemessenheit<br />

der für Patienten mit Schizophrenie-Diagnosen verwendeten Desirabilitätsskalen<br />

gelegt werden (vgl. z. B. MUSCH et al., 2002). Hier konnte in der betrachteten Stichprobe<br />

nur eine interne Konsistenz von α = .69 erreicht werden, was noch einmal geringfügig unter<br />

der von MAß (2001) berichteten liegt. Auch dies könnte eine Ursache für den im Vergleich<br />

zu YOUNG et al. (1998) <strong>und</strong> MOORE et al. (1999) geringeren Zusammenhang sein. Diese<br />

Arbeiten haben zwar keine speziell entwickelten, immerhin aber längere Offenheitsskalen<br />

verwendet.<br />

Zweitens könnten quasi-experimentelle Studien, die sich an der neueren differentialpsychologischen<br />

Repression-Forschung orientieren, helfen, die Konstruktvalidität von<br />

Desirabilitätsskalen bei Schizophrenie zu klären <strong>und</strong> weitere konvergierende Belege für die<br />

Relevanz motivationaler Faktoren zu liefern. Hier sind die Modelle von WEINBERGER et al.<br />

(1979), KROHNE (z. B. 1993) <strong>und</strong> M. EYSENCK (z. B. 1997) besonders hervorzuheben. In<br />

Kapitel 5 wurden bereits Untersuchungsanordnungen geschildert, die helfen könnten, eine<br />

kognitive Vermeidung <strong>und</strong> nicht-bedrohliche Interpretation potenziell bedrohlicher<br />

externaler <strong>und</strong> internaler Information zu operationalisieren. Im Kern ginge es darum zu<br />

prüfen, ob kognitiv intakte, asymptomatische, krankheitsuneinsichtige Repressors mit<br />

Schizophrenie-Diagnosen eine (weitere) Diskrepanz der Ergebnisse von Selbsteinschätzungen,<br />

systematischer Verhaltensbeobachtung <strong>und</strong> autonomen physiologischen Maßen zeigen<br />

(z. B. NEWTON & CONTRADA, 1992). So könnten z. B. gefilmte Teilnehmer eines therapeutischen<br />

Gruppenprogramms ihre eigene Ängstlichkeit während evozierter Redebeiträge<br />

beurteilen (s. DERAKSHAN & EYSENCK, 1997a). Kognitiv intakte Patienten mit geringer<br />

Einsicht sollten hier eine signifikante Diskrepanz zur Fremdbeurteilung desselben Materials<br />

aufweisen. Auch die im Hinblick auf Einsicht verblindete Fremdbeurteilung defensiver<br />

Verarbeitungsprozesse ist anzudenken (z. B. Defensive Control Processes: ZNOJ, 2000).<br />

Drittens sollte der Blick über den personalen Reaktionsstil hinaus auf den soziokulturellen<br />

Kontext erweitert werden, in dem die Konstruktion von Erkrankungsmodellen<br />

stattfindet. Ein bislang kaum beachteter potenzieller Einflussfaktor auf Einsicht ist die

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