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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Es ist klar, daß die Stellungnahme der Persönlichkeit zur Krankheit in dem Maße differenziert,<br />

ausgesprochen <strong>und</strong> eigenartig sein wird, als der betreffende Kranke intelligent<br />

<strong>und</strong> gebildet ist. Zumal naturwissenschaftliche <strong>und</strong> psychopathologische Bildung<br />

wird eine andere Stellung mit sich bringen, als geisteswissenschaftliche <strong>und</strong> theologische.<br />

Für die Bewertung der Stellungnahme selbst als einer krankhaften müssen wir<br />

das Milieu immer in Betracht ziehen. (S. 229)<br />

In der – heute befremdlichen – Sprache seiner Zeit formuliert JASPERS für Anosognosien<br />

bei hirnorganischen Schädigungen die Vermutung einer »neuro-kognitiven« Verursachung:<br />

Jenes Urphänomen, daß die Persönlichkeit sich selbst gegenübersteht, ihr Erleben beurteilt,<br />

ist erst auf einer gewissen Stufe seelischer Differenziertheit offensichtlich. Unterhalb<br />

dieser Stufe scheinen die Individuen bloß in der Umwelt zu leben, nicht »von<br />

sich« zu wissen. Bei sehr tiefstehenden Idioten … besteht daher das Problem, wie die<br />

Persönlichkeit zur Krankheit Stellung nimmt, gar nicht. Sie nimmt überhaupt keine<br />

Stellung. (S. 229)<br />

»Über die Stellungnahme zur abgelaufenen akuten Psychose«:<br />

Wilhelm MAYER-GROSS<br />

In seiner Monographie »… über verständliche Zusammenhänge in der Schizophrenie«<br />

untersucht MAYER-GROSS (1920) die postakute Bewältigung der »… Psychose als ein<br />

Erlebnis starker Existenzgefährdung des Selbst« (S. 198). Der Autor unterscheidet<br />

zusätzlich zu einer wahnhaften Verarbeitung der Erkrankungsepisode fünf Formen der<br />

psychologisch verstehbaren Krankheitsverarbeitung, die sich als Funktion aus der Menge<br />

an »Existenzwerten«, wie der Autor jene psychischen Objekte bezeichnet, die als »Wurzel<br />

der Selbstwerthaltung« bzw. als »Träger des Selbst« (S. 169) dienen, <strong>und</strong> dem Streben<br />

nach Kontinuität <strong>und</strong> Identität ergeben. Dies sind im Einzelnen:<br />

(1.) Verzweiflung – diese ist nach MAYER-GROSS eine Folge der »Zerstörung der Existenzwerte«<br />

(S. 177) aufgr<strong>und</strong> einer dünnen »Werteschicht des Selbst« bei gleichzeitig<br />

ausgeprägtem Kontinuitätsstreben. Diese postschizophren-depressive Verarbeitung, die in<br />

den Suizid führen kann, suchen die vier folgenden Verarbeitungsformen zu vermeiden.<br />

(2.) Neues Leben – bei dieser Bewältigungsform wird die Psychose-Erkrankung an sich<br />

nicht verarbeitet <strong>und</strong> ins Selbstkonzept integriert. Sie wird zwar nicht r<strong>und</strong>um verleugnet,<br />

jedoch kognitiv vermieden <strong>und</strong> nicht elaboriert thematisiert. Es findet durch den Aufbau<br />

einer neuen Identität eine »Flucht aus der Vergangenheit« (S. 180) statt, da diese die<br />

zerstörten Existenzwerte aktualisiert. Eine häufige Sonderform des neuen Lebens stellt die<br />

»Flucht in die Krankheit« dar, bei der Basis- bzw. Residualsymptome verwendet werden,<br />

um das Selbstkonzept mit der Krankenrolle zu füllen.<br />

(3.) Ausscheidung – bleibt ein Teil der Existenzwerte aufgr<strong>und</strong> eines entwickelten,<br />

stabilen Selbstkonzepts erhalten, so dass kein neues Leben benötigt wird, können die<br />

psychotische Episode oder ihre Konsequenzen geleugnet werden. Diese Verarbeitungsform<br />

erfordert nach MAYER-GROSS (1920) den geringsten kognitiven Aufwand, jedoch ein<br />

gewisses Maß an Selbstkonzeptstabilität <strong>und</strong> erfolgt häufiger unmittelbar im Anschluss an<br />

die psychotische Episode:

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