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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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6.5.12 Die nosologische Hypothese:<br />

Uneinsichtigkeit als Kernmerkmal der Psychose<br />

157<br />

<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Die klinische oder nosologische Auffassung von Einsicht tritt in zwei Fassungen auf. Die<br />

erste begreift »Einsicht« <strong>und</strong> »Psychose« als graduelle Antonymie. Dies ist auf den ersten<br />

Blick nahe liegend <strong>und</strong> für einen begrenzten Phänomenbereich auch durchaus zutreffend:<br />

Wahn in all seinen Erscheinungsformen ist das häufigste Positivsymptom der Schizophrenie.<br />

Er kann definiert werden als »… inhaltlich falsche Überzeugungen, die … mit unmittelbarer<br />

Gewissheit (Evidenz) auftreten <strong>und</strong> an denen die Patienten … unbeirrbar <strong>und</strong><br />

unzugänglich für alle Gegengründe … trotz der Unvereinbarkeit mit … der objektiv<br />

nachprüfbaren Realität festhalten« (HUBER, 1999, S. 272). Zumindest für den Bereich der<br />

entsprechenden Symptombewusstheit (vgl. DAVID, 1990; AMADOR, 1993) ist somit begrifflich<br />

bestimmt, dass Uneinsichtigkeit ein konstitutives Charakteristikum des Psychotischen<br />

sein muss: Wer einsichtig ist, kann nicht wahnhaft sein et vice versa.<br />

Diese Anschauung kommt auch in älteren globalen Einsichts-Einschätzungen zum<br />

Ausdruck, etwa wenn im PANSS-Item G12 ein extremes Einsichtsdefizit u. a. über die<br />

wahnhafte Interpretation der Behandlung operationalisiert wird. Diese Setzung <strong>und</strong> die<br />

hohe klinische Salienz <strong>und</strong> Bedeutung des akuten Wahns hat in der Vergangenheit zu<br />

hohen inversen Zusammenhängen zwischen Einsicht <strong>und</strong> Wahn geführt: So berichten<br />

SARTORIUS, SHAPIRO <strong>und</strong> JABLENSKY (1974) für die International Pilot Study of Schizophrenia,<br />

dass in einer strikt definierten paranoid-halluzinatorischen Kerngruppe (N = 306)<br />

praktisch jeder Patient (97 %) laut Present State Examination uneinsichtig war.<br />

Es sollte bereits deutlich geworden sein, dass dieses Verständnis von Einsicht als Antonym<br />

von Wahn zu kurz greift. Es wurde herausgearbeitet, dass Einsicht mehr umfasst als<br />

die Bewusstheit gestörten Erlebens <strong>und</strong> Verhaltens (so etwa Annahmen über die Natur der<br />

Krankheit).<br />

Dennoch soll der für die Konstruktvalidität der Einsicht wichtigen Frage nach dem<br />

Zusammenhang mit Schizophrenie-Symptomatik kurz nachgegangen werden. Die bislang<br />

einzige Metaanalyse zu diesem Thema (1985 - 2001) berechneten MINTZ, DOBSON <strong>und</strong><br />

ROMNEY (2003): Die Effektstärke für den Zusammenhang von globaler Einsicht <strong>und</strong><br />

Positivsymptomatik betrug nur r = -.25 (95% CI: -.64 bis .13; N = 1616 aus k = 22 Studien;<br />

Fail-safe N = 34) <strong>und</strong> für den Zusammenhang mit Negativsymptomatik r = -.23<br />

(95% CI: -.48 bis .02; N = 1487, k = 20; Fail-safe N = 26).<br />

Während der geringe Zusammenhang von Einsicht <strong>und</strong> Negativsymptomatik, auch vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> des Modells von MARKOVÁ <strong>und</strong> BERRIOS (1995a), erwartet werden<br />

konnte, überrascht die geringe gemeinsame Varianz von Einsicht <strong>und</strong> Positivsymptomatik.<br />

Eine Moderatorvariablenanalyse ergab hier, dass 88 % der Varianz der Korrelationen von<br />

Einsicht <strong>und</strong> Positivsymptomatik durch den Anteil akuter Patienten erklärt wurde – wo<br />

stärkere Symptomatik vorliegen, erhöht sich die negative Korrelation von Positivsymptomatik<br />

<strong>und</strong> Einsicht. Dies überrascht nicht angesichts der Antonymie von Wahn <strong>und</strong><br />

der Bewusstheit von Positivsymptomatik <strong>und</strong> des hohen Gewichts subjektiver Behandlungsbedürftigkeit<br />

in globalen Einsichtsmaßen wie PANSS-G12 oder ITAQ.<br />

Für differenzierte Aussagen zum Zusammenhang zwischen Einsichtsdimensionen <strong>und</strong><br />

Symptomatik ist die Datengr<strong>und</strong>lage noch recht dünn: In der Metaanalyse von MINTZ et al.<br />

(2003) fiel der Zusammenhang zwischen Symptombewusstheit <strong>und</strong> Positivsymptomatik<br />

mit r = -.23 nicht höher aus als der berichtete globale Effekt (aber: N = 100, k = 3).<br />

SEVY et al. (2004) fanden an 96 stationären Patienten bei Verwendung der SUMD die<br />

meisten signifikanten inversen Zusammenhänge für den Bereich der Symptombewusstheit.

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