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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Die Bef<strong>und</strong>lage zu Einsicht <strong>und</strong> Compliance zeichnet also bislang kein klares Bild, das im<br />

Längsschnitt sogar noch stärker verwischt (LINCOLN et al., 2007). Hierzu sind abschließend<br />

einige klärende Anmerkungen zu machen:<br />

Erstens ist Einsicht selbst aus der Perspektive klassischer Modelle des rationalen<br />

Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens nur ein Prädiktor unter vielen (vgl. MCCABE, QUAYLE, BEIRNE &<br />

DUANE, 2000). Sie wird dabei mit Risikowahrnehmung gleichgesetzt (LACRO et al., 2002),<br />

eine Zuordnung, die nur dann sinnvoll ist, wenn alle Aspekte des psychiatrischen Krankheitsmodells<br />

verinnerlicht werden (d. h. wenn Einsicht auch die Anerkennung einer v. a.<br />

somatischen Verursachung <strong>und</strong> einer überdauernden Vulnerabilität bedeutet). Aus der<br />

Diskussion subjektiver Krankheitsmodelle (vgl. MARTIN et al., 2003) lässt sich jedoch die<br />

Möglichkeit ableiten, dass Einsicht besteht, aber abweichende defensive Schlussfolgerungen<br />

für die Behandlung gezogen werden (z. B. dass der Patient für sich in Anspruch nimmt,<br />

an einer passageren Erkrankung zu leiden <strong>und</strong> er die Medikamente daher nach kurzer Zeit<br />

absetzt; oder dass er eine psychische Verursachung für plausibel hält, der mit psychologischen<br />

Methoden zu begegnen ist: z. B. GREENFELD et al., 1989; LALLY, 1989; ROE &<br />

KRAVETZ, 2003).<br />

Zudem besteht die Möglichkeit, dass Einsicht nicht einmal eine notwendige Bedingung<br />

der Compliance darstellt (z. B. NAGEOTTE, SULLIVAN, DUAN & CAMP, 1997): Manche<br />

Patienten geben okkulte Ursachen ihrer Erkrankung an (z. B. Telepathie), scheinen jedoch<br />

keinen Widerspruch zu einer neurochemischen Pathogenese als Endstrecke der Fremdbeeinflussung<br />

zu sehen (s. auch MAYER-GROSS, 1920, S. 196-197) <strong>und</strong> betrachten die<br />

Medikation als Schutzfaktor. So stellten NAGEOTTE et al. (1997) in einer großen Stichprobe<br />

stationärer <strong>und</strong> ambulanter Patienten (N = 195) fest, dass immerhin 38 % der nicht<br />

einsichtigen Patienten eine gute Compliance zeigten.<br />

Weitere compliance-relevante Faktoren beziehen sich vor allem auf die Kosten der<br />

Teilnahme (z. B. Nebenwirkungen wie extrapyramidalmotorische Symptome <strong>und</strong> sexuelle<br />

Dysfunktionen: SHIRZADI & GHAEMI, 2006; KNEGTERING & BRUGGEMAN, 2007; Stigmatisierung<br />

durch Einnahme von Medikamenten oder Beteiligung an Programmen für »Verrückte«:<br />

SAJATOVIC & JENKINS, 2007; FUNG, TSANG & CORRIGAN, 2008) <strong>und</strong> auf den Nutzen von<br />

Compliance (z. B. Vermeidung von Zwangsmaßnahmen, Anerkennung durch Behandlungspersonal).<br />

Zweitens weisen Schizophrenie-Studien, die Adhärenz unter Rückgriff auf Theorien der<br />

rationalen Entscheidung aus Einsicht vorherzusagen versuchen, konzeptuelle Probleme<br />

auf: Diese betreffen v. a. die Vernachlässigung von Variablen, die in der Ges<strong>und</strong>heitspsychologie<br />

herangezogen werden, um die Intentions-Verhaltens-Lücke zu überbrücken (z.<br />

B. spezifische Selbstwirksamkeit, Handlungsplanung: vgl. SCHWARZER, 2004). So fanden<br />

TSANG, FUNG <strong>und</strong> CORRIGAN (2006) einen Zusammenhang zwischen sozialer Selbstwirksamkeit<br />

<strong>und</strong> der Teilnahme an psychosozialen Behandlungsprogrammen (u. a. Arbeitsrehabilitation<br />

<strong>und</strong> soziales Fertigkeitentraining: r = .43, p < .01). Aus dieser Perspektive sind<br />

die häufig geringeren Zusammenhänge von Einsicht <strong>und</strong> Compliance wegen der vielfältigen<br />

<strong>und</strong> komplexen Determination dieses Ges<strong>und</strong>heitsverhaltens nicht verw<strong>und</strong>erlich.<br />

Entsprechend deuten drittens die bereits referierten Hauptkomponentenanalysen<br />

(DAVID et al., 1992; SIMON et al., 2006; HASSON-OHAYON et al., 2006; COOKE, PETERS,<br />

FANNON et al., 2007) darauf hin, dass Items mehrdimensionaler Einsichtsinstrumente (SAI,<br />

SUMD, BIS), die Behandlungseinstellungen, subjektive Medikationswirksamkeit <strong>und</strong><br />

Adhärenz erfassen, vergleichsweise gering auf die übrigen Einsichts-Komponenten laden.<br />

Die Konstruktvalidität von Einsicht sensu DAVID (1990) muss also problematisiert werden:<br />

Es stellt sich die Frage, ob Behandlungseinstellungen überhaupt sinnvoll als »Einsicht«

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