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Krankheitseinsicht, dynamisch getestete Exekutivfunktionen und ...

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<strong>Krankheitseinsicht</strong><br />

Kombination am häufigsten genannt. So wurden zwei ätiologische Faktoren des biopsychiatrischen<br />

Modells, Neurotransmitter-Imbalance <strong>und</strong> perinatale Traumata, von weniger als<br />

10 % der Befragten für wahrscheinlich gehalten, während jeweils ca. die Hälfte den<br />

Ursachenvorschlägen Einsamkeit <strong>und</strong> belastende Lebensereignisse zustimmten. In neuerer<br />

Zeit scheinen biogenetische Kausalattributionen zwar zuzunehmen, psychosoziale<br />

Zuschreibungen führen jedoch weiterhin deutlich (HOLZINGER, KILIAN, LINDENBACH,<br />

PETSCHELEIT & ANGERMEYER, 2003).<br />

Auch wenn psychiatrische Schwierigkeiten berichtet werden, nehmen Betroffene oftmals<br />

eine Gewichtung ihrer Probleme vor, die von der des professionellen Behandlungspersonals<br />

abweichen dürfte: PHILLIPS, COOKE, COOKE <strong>und</strong> PETERS (2007) fanden, dass zwar 71 % der<br />

17 Gesprächspartner psychiatrische Probleme erwähnten, jedoch nur 42 % diese auch als<br />

ihr Hauptproblem identifizierten. 58 % nannten hingegen ein nicht-psychiatrisches Hauptproblem:<br />

29 % somatische Beschwerden <strong>und</strong> 30 % interpersonelle Beziehungen (z. B.<br />

wiederum Einsamkeit), Persönlichkeitsmerkmale (z. B. niedriges Selbstbewusstsein) oder<br />

lebenspraktische Probleme (z. B. Geldmangel). Auch bei PHILLIPS et al. (2007) beschrieben<br />

die meisten Teilnehmer eine multifaktorielle Ätiologie aus im Durchschnitt fünf Ursachen.<br />

Vor einer unkritischen Übertragung der auf dem Gebiet der somatischen Erkrankungen<br />

gewonnenen Erkenntnisse warnen KINDERMAN, SETZU, LOBBAN <strong>und</strong> SALMON (2006). Sie<br />

weisen darauf hin, dass sich die Krankheitsrepräsentationen von Patienten mit Schizophrenie<br />

in mindestens drei Punkten unterscheiden: Erstens besteht ein besonderes Verhältnis<br />

von Person <strong>und</strong> psychotischer Erkrankung – die distanzierende Objektivierung fällt<br />

aufgr<strong>und</strong> der psychischen Natur ihrer Symptome schwer (vgl. ESTROFF, 1989). Zweitens<br />

gestaltet sich die Erfassung von Krankheitsrepräsentationen schwierig, da manche<br />

Schizophrenie-Patienten klinische Termini auf eine idiosynkratische Weise verwenden.<br />

Drittens besteht eine gewisse Inkohärenz der Überzeugungssysteme, d. h. Überzeugungen<br />

bleiben unverb<strong>und</strong>en, widersprechen sich oder sind nur schwach ausgeprägt. Ätiologische<br />

»mosaic theories« von Patienten hatten auch HOLZINGER et al. (2003, S. 161) konstatiert,<br />

zugleich jedoch darauf hingewiesen, dass selbst Experten hier die letzte Sicherheit fehlt.<br />

Aus den qualitativen Untersuchungen subjektiver Krankheitskonzepte ergeben sich<br />

Folgerungen für die Diskussion von »<strong>Krankheitseinsicht</strong>«: Nicht nur Menschen mit primär<br />

organischen Erkrankungen konstruieren explanative Modelle (z. B. BARD & DYK, 1956).<br />

Auch Menschen mit Schizophrenie-Diagnosen suchen nach einer für sie plausiblen<br />

Erklärung ihrer Beschwerden. Ihre Modelle sind äußerst vielfältig, mit verschiedenen endo-<br />

<strong>und</strong> exogenetischen Annahmen, <strong>und</strong> reichen vom wissenschaftlich Plausiblen bis hin zum –<br />

im psychiatrischen Sinne – Wahnhaften (SAYRE, 2000; JACOBSON, 2001). Darüber hinaus<br />

existieren solche, die auf dieser Dimension nicht immer einfach zu verorten sind, etwa<br />

religiös-punitive oder spirituell-philosophische Modelle. Letztere sind auch deshalb<br />

interessant, weil seit einigen Jahren vermehrt über das Phänomen des persönlichen<br />

Wachstums durch schwere Krisen <strong>und</strong> Traumata geforscht wird (»personal/posttraumatic<br />

growth«), ein Trend, der im Zuge der sog. Recovery-Diskussion auch die Schizophrenie-<br />

Forschung erreicht hat (ROE & CHOPRA, 2003; SILVERSTEIN & BELLACK, 2008).<br />

Ein empathisches Verständnis solcher Modelle durch den Kliniker kann die therapeutische<br />

Beziehung stärken (FURMAN & AHOLA, 1988) <strong>und</strong> kognitiven Verhaltenstherapien<br />

Ansatzpunkte bieten (z. B. TURKINGTON, KINGDON & WEIDEN, 2006). Hier kann ein<br />

Beharren auf dem biopsychiatrischen Modell <strong>und</strong> dessen Vermittlung durch reine Psychoedukation<br />

zu kurz greifen (KLIMITZ, 2006).

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