02.12.2012 Aufrufe

Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Der strukturalistische Objektivismus betrachtet – in Anlehnung an die Konzeption<br />

Saussures vom System der Sprache – als zentrale Aufgabe der Wissenschaft<br />

vom Menschen im Allgemeinen, mindestens aber der Ethnologie, die aus<br />

der unbewussten Tätigkeit des Geistes hervorgehende, den menschlichen Lebensvollzügen<br />

vorausliegende und sie bestimmende allgemeine geistige Struktur herauszuarbeiten.<br />

Entsprechend zum marxschen oder durkheimschen Objektivismus<br />

behandelt auch der Strukturalismus soziale Tatbestände wie Dinge. (Durkheim:<br />

Regeln 115) Das läuft auf die Annahme hinaus, es gäbe „besondere Arten des<br />

Handelns, Denkens, Fühlens, deren wesentliche Eigentümlichkeit darin besteht,<br />

dass sie außerhalb des individuellen Bewußtseins existieren“ 77 .<br />

Für Lévi-Strauss in seiner einflussreichsten Schaffensperiode sind dies die<br />

objektiven und universalen Strukturen des menschlichen Geistes. „Wenn, wie wir<br />

meinen, die unbewußte Tätigkeit des Geistes darin besteht, einem Inhalt Formen<br />

aufzuzwingen, und wenn diese Formen im Grunde für alle Geister, die alten und<br />

die modernen, die primitiven und die zivilisierten dieselben sind – wie die Untersuchung<br />

der symbolischen Funktion, wie sie in der Sprache zum Ausdruck<br />

kommt, überzeugend nachweist – , ist es notwendig und ausreichend, die unbewußte<br />

Struktur, die jeder Institution oder jedem Brauch zugrunde liegt, zu finden,<br />

um ein Interpretationsprinzip zu bekommen, das für andere Institutionen und<br />

andere Bräuche gültig ist, vorausgesetzt natürlich, daß man die Analyse weit genug<br />

treibt.“ (Lévi-Strauss: Anthropologie 35) Texte, Rituale und Gegenstände sind als<br />

Zeichen in Zeichensystemen vor allem um ihrer Strukturen willen interessant, von<br />

denen man annimmt, dass sie Homologien zu gesellschaftlichen Strukturen aufweisen,<br />

welche eben darauf beruhen, dass „der menschliche Geist, wenn er bis in<br />

die Mythen hinein determiniert erscheint, es a fortiori überall sein muß“ (Lévi-<br />

Strauss: Mythologica I 24).<br />

Unter einer solchen Voraussetzung erscheint Handeln als die Anwendung der<br />

als objektive, geistige Tatbestände existierenden Regeln des sozialen Lebens, etwa<br />

die der Verwandschaftssysteme. Die subjektiven Faktoren des Handelns verschwinden<br />

nahezu ganz unter den Vorgaben der objektiven Regeln. Dies auch<br />

dann, wenn Lévi-Strauss unter explizitem Rückgriff auf Marx einen Vermittler<br />

zwischen der <strong>Praxis</strong> und den auf sie gerichteten Praktiken einsetzt. Denn dieser<br />

Vermittler ist „das Begriffssystem..., durch dessen Wirken eine Materie und eine<br />

Form, die beide jeder unabhängigen Existenz ermangeln, sich zu Strukturen<br />

ausbilden, d.h. zu empirischen und zugleich intelligiblen Wesen“ (Lévi-Strauss:<br />

Denken 154). Lévi-Strauss gesteht hier immerhin zu, „daß die <strong>Praxis</strong> vor den<br />

77 Durkheim: Regeln 106. Zu diesen sozialen Sachverhalten gehört etwa, dass es Pflichten<br />

gibt, die „außerhalb meiner Person und der Sphäre meines Willens im Recht und in der<br />

Sitte begründet sind“ (105). Die Übereinstimmung mit solchen objektiven Regeln leitet<br />

Durkheim aus der Sozialisation ab. Dies wird – trotz aller Kritik an Durkheims Objektivismus<br />

– in Zukunft ein wichtiger Anknüpfungspunkt auch für Theorien des Handelns<br />

bleiben, die die sozialen Akteure stärker einbeziehen als dies bei Durkheim der Fall ist.<br />

105

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!