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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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in unterschiedlichen Kontexten und praktischen Strategien durch eine<br />

unterschiedliche Stellung zu anderen Elementen der kognitiven Systeme<br />

eine unterschiedliche Bedeutung und Relevanz haben und damit einen<br />

anderen Sinn bekommen. Die (sich wandelnden) Kombinationen eines<br />

Elements religiöser Lehre (ein Lehrstück etwa) in einem weit verzweigten<br />

Netz von Dispositionen sowie seine Relevanz für eine bestimmte Konjunktur<br />

des Kontextes sind somit wichtige Variablen, wenn man seine<br />

Bedeutung bestimmen will.<br />

Dazu ein Beispiel: In methodischer Hinsicht verhält es sich mit der<br />

gottesdienstlichen Ekstase im enthusiastischen Christentum ähnlich wie<br />

mit der Wegkreuzung in der Symbolik der Kabylen in Algerien. Nach<br />

Auskunft Bourdieus (Sinn 20) wird die Wegkreuzung von Ethnologen in<br />

Analogie zu anderen gefährlichen Kreuzungsorten generell für einen<br />

gefährlichen Ort gehalten. Aber erst, wenn man nicht nur nach den Analogien<br />

fragt, sondern auch die Differenzen, Kontradiktionen etc. (also etwa<br />

die Beziehung des Kreuzes zur Gabel, wie etwa der Firstgabel usw.) einbezieht,<br />

kommt man auf die viel wichtigere Bedeutung der Wegkreuzung<br />

als eines Ortes der Fruchtbarkeit (die wiederum die Bedeutung des gefährlichen<br />

Ortes nicht ausschließt). Ganz ähnlich erschließt sich die Bedeutung<br />

des Erfülltseins mit dem Heiligen Geist (dieses zentrale ekstatische Erlebnis<br />

im Gottesdienst der Neopfingstler) nicht einfach dadurch, dass man<br />

seine Ähnlichkeit zu einer substanzialistischen Gnadentheorie hervorhebt,<br />

die im Falle der gratia infusa auch mit dem Bild des Füllens operiert; 103 auch<br />

der Hinweis auf eine Äquivalenz der Geisterfüllung mit der in der Prädestination<br />

zugesprochenen freien Gnadengabe der Rechtfertigung oder mit<br />

der Rede vom „erfüllten Leben“ als Christ reicht nicht aus, um den Sinn<br />

dieser rituellen Verrichtung zufriedenstellend zu interpretieren. Ein befriedigendes<br />

Verständnis der ekstatischen Geisterfüllung ist erst dann in<br />

Sicht, wenn auch die kontradiktorischen und konträren Relationen im<br />

System der praktischen Dispositionen hinzukommen. Das heißt, man<br />

muss das Leiden der Gläubigen unter ihrem Machtverlust in der Gesellschaft,<br />

unter dem Kontrollverlust im privaten Leben und ihre Furcht vor<br />

dem Wirken von Dämonen berücksichtigen. Dann hat die gottesdienstliche<br />

Ekstase nämlich auch die Bedeutung eines religiös induzierten privaten<br />

und politischen Machtgewinns (was die Bedeutung der „Gnadengabe“<br />

ja nicht ausschließt).<br />

103 ...und das als einen Hinweis auf einen verborgenen ‚Katholizismus‘ der Charismatiker<br />

verbucht.<br />

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