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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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Kontextbewusste <strong>Theologie</strong> ist zunächst einmal geschützt gegenüber dem<br />

Objektivismus der theologischen Systeme. Sie tritt ja gerade mit dem<br />

Anspruch an, sich vom Kontext statt von der Systemidee orientieren zu<br />

lassen. Diese Dynamik hält allerdings nur so lange vor, wie die entsprechenden<br />

<strong>Theologie</strong>n noch nicht eigene Institutionen und eine eigene<br />

Orthodoxie hervorgebracht haben. Ist dies erst einmal der Fall, können<br />

wiederum Dogmatiken entstehen. Diese verwenden dann die ursprünglich<br />

aus der Kontextanalyse gewonnene Grundunterscheidung (zum Beispiel<br />

Befreiung versus Unterdrückung) zur Formulierung von theologischen<br />

Systemen. Auf diese Weise wird die einst in einer kontextorientierten<br />

Dynamik hervorgebrachte Unterscheidung zum leitenden Axiom eines<br />

Systems, welches durch die bloße Trägheit des Habitus 85 eine Veränderung<br />

der Umstände überdauert. Ein Mechanismus zur Absicherung einer solchen<br />

Systembildung besteht darin, den Kontextbezug (etwa im „hermeneutischen<br />

Zirkel“) selbst zu einem Bestandteil der Systematik zu erheben.<br />

Da allerdings das erkenntnisleitende Axiom dasselbe bleibt, ist die Kontextwahrnehmung<br />

von vornherein in die Bahnen des entsprechenden<br />

theologischen Systems gelenkt. Diese Art objektivistischer Transformation<br />

von ursprünglich explizit kontextorientierten <strong>Theologie</strong>n zieht dann alle<br />

Leiden des Objektivismus nach sich: universalisierte Wahrheitsansprüche,<br />

Anwendungshermeneutik und -ethik, Dialogunfähigkeit und Anderes<br />

mehr.<br />

Diese klassischen Probleme des Objektivismus können sogar im<br />

Rahmen einer explizit kontextuellen <strong>Theologie</strong> auftreten und vertieft<br />

werden, wenn die entsprechenden Theologen und Theologinnen Erkenntnis<br />

als Widerspiegelung behandeln. Dies auch dann, wenn sich die Widerspiegelungstheorie<br />

zwar nicht auf metaphysische Realien, sondern nur auf<br />

die gesellschaftlichen Verhältnisse erstreckt. Denn die Widerspiegelungstheorie<br />

produziert die Illusion objektiver und allgemeingültiger Erkenntnisse<br />

über die gesellschaftlichen Bedingungen, die alle anderen Sichtweisen<br />

als „ideologisch“ erscheinen lässt. Auf diese Weise kann dann der Wahrheits-<br />

und Universalitätsanspruch der eigenen theologischen Theorie auf<br />

85 Bourdieu nennt dies den Hysteresis-Effekt des Habitus. Die Strukturen der inkorporierten<br />

Dispositionen von Wahrnehmung, Urteil und Handeln bleiben bestehen, obwohl sich<br />

die Bedingungen der <strong>Praxis</strong>felder geändert haben. Natürlich ist das nicht nur ein Trägheitseffekt<br />

von Systemen und Institutionen, sondern hat auch mit dem persönlichen Empfinden<br />

von Krise und Sicherheit und Vielem mehr zu tun.<br />

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