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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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und <strong>Praxis</strong> zumal“ 76 . Sowohl im Feld der objektiven gesellschaftlichen Relationen<br />

als auch in der subjektiven Konstruktion von Sinn und Bedeutung spielen viel<br />

mehr Faktoren als nur die Kognition eine Rolle. Dies hat Peirce schon durch die<br />

verschiedenen Ebenen seines Interpretantenbegriffs in das Konzept des Zeichens<br />

selbst integriert. Diese Ebenen erinnern daran, dass Bedeutungen sich durch<br />

Wirkungen des Zeichens auf den Empfänger konstituieren, und zwar auf sehr<br />

verschiedene Weise: als Bilder und Begriffe in der Vorstellung, als Gefühle, Veränderung<br />

der Körperhaltung, spontane Handlung etc. (Nöth: Semiotik 38, 44) Auf<br />

den von Peirce im wesentlichen unterschiedenen drei Ebenen: der kognitiven, der<br />

emotionalen und der „energetischen“ (also der des Handelns), wirken Zeichen auf<br />

je unterschiedliche Weise und mit unterschiedlicher Intensität. Dabei ist allerdings<br />

mit Entsprechungen zwischen den Wirkungen auf den verschiedenen Ebenen zu<br />

rechnen. Ein Beispiel: Es bewirkt etwa die gottesdienstliche Aufforderung, zum<br />

Gebet den Kopf zu neigen, bei den angesprochenen Menschen nicht nur die<br />

Entstehung eines bestimmten Bildes in der Vorstellung, sondern ebenso eine<br />

entsprechende Körperhaltung und induziert zudem ein Gefühl der Demut; oder<br />

es bewirkt die eher bei Charismatikern übliche gottesdienstliche Aufforderung, das<br />

Gesicht und die Arme gen Himmel zu erheben, eine entsprechende Körperhaltung<br />

und ein Gefühl der Öffnung sowie, folgend, der Erfüllung – all dies aufgrund<br />

einer bestimmten, durch Sozialisation bzw. Erlernen erworbenen <strong>Praxis</strong> und der<br />

gewohnheitsmäßigen Zuschreibung von Bedeutung. Das Zeichen (die Aufforderung)<br />

bewirkt auf den verschiedenen Ebenen je Verschiedenes. Mit anderen<br />

Worten, seine Bedeutung, seine Funktion im Blick auf ein jeweils Bezeichnetes ist<br />

auf jeder Ebene unterschiedlich: kognitiv „Rede zu Gott“, emotional „Demut“<br />

und energetisch „Senken des Kopfes“. Sinn entsteht nun, indem die verschiedenen<br />

Ebenen in der <strong>Praxis</strong> zu einem Ganzen verschmolzen werden und dabei die<br />

bloße kognitiv wahrgenommene Aufforderung auf „anderweitig Bekanntes“<br />

76 Habermas: Logik 256. Vgl. zu Habermas‘ Wittgenstein-Interpretation ebd. 240 ff. und<br />

die weitergehende Auseinandersetzung im Rahmen der Diskussion der Hermeneutik, 271<br />

ff. Habermas möchte Wittgenstein nicht in die Nähe des Pragmatismus rücken, da hier<br />

Symbole und Tätigkeiten „unter der reziproken Erfolgskontrolle eines begleitenden<br />

Konsensus aller Beteiligten“ (257) stehen. Gleichwohl kennt Wittgenstein eine enge<br />

gegenseitige Abhängigkeit von Sprachspiel, Gebrauch und Lebensform. Es ist aber nicht<br />

von der Hand zu weisen, dass der gesellschaftliche Kontext des Gebrauchs – vor allem<br />

dessen Machtförmigkeit – bei Wittgenstein eine sehr geringe Rolle spielt. Dementsprechend<br />

reflektiert Wittgenstein nicht auf die gesellschaftliche Position seiner eigenen<br />

Philosophie, weshalb er nach Steinvorth: Wittgenstein 147 ff., ein „inkonsequenter dialektischer<br />

Materialist“ ist. Was die mangelnde historische Dimension der soziolinguistischen<br />

Überlegungen Wittgensteins angeht, trifft die Kritik Habermas‘ (Logik 278) mit Sicherheit<br />

zu, weshalb über den bloßen Wittgensteinschen Begriff des Sprachspiels hinaus immer<br />

auch die diachronen, produktiven und strategischen Aspekte des Sprachspiels in den Blick<br />

genommen werden sollten.<br />

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