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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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a. Praxeologie im sozialwissenschaftlichen Feld<br />

Bourdieus Denkstil repräsentiert eine Strömung innerhalb einer neueren<br />

Denkrichtung der Sozialwissenschaften, der <strong>Praxis</strong>theorie 91 . Dieser Begriff<br />

wird verwendet, um eine vorschnelle Ineins-Setzung der entsprechenden<br />

Theorieansätze mit der älteren Handlungstheorie Weberscher Prägung zu<br />

vermeiden, wenngleich die <strong>Praxis</strong>theorie auch Max Weber beerbt. Im<br />

angelsächsischen Sprachraum kann man dieser Richtung etwa Marshall<br />

Sahlins und, in Grenzen, Anthony Giddens zurechnen. 92 Im deutschen<br />

Sprachraum geht im Blick auf die Beschreibung von <strong>Praxis</strong> als Sinnerzeugung<br />

die objektive Hermeneutik und Deutungsmusteranalyse ähnliche<br />

Wege. 93<br />

Der <strong>Praxis</strong>theorie im Allgemeinen geht es um eine Vermittlung von<br />

Handeln mit materiellen, sozialen und symbolischen Systemen. Gegen die<br />

Verabsolutierung des „Systems“ durch die Tradition Saussures im Strukturalismus<br />

und die Tradition des parsonsschen Funktionalismus setzt die<br />

<strong>Praxis</strong>theorie die Aktivität und Kreativität der Akteure; gegen einen subjektivistischen<br />

Voluntarismus in weberscher oder phänomenologischer<br />

Tradition setzt sie die Einbindung der Handelnden in objektive gesellschaftliche<br />

Strukturen. Der Begriff der <strong>Praxis</strong> wird aus Marx‘ erster Feuerbachthese<br />

abgeleitet. 94 Ein solcher <strong>Praxis</strong>begriff – in dem die Produktion<br />

von Sinn im Allgemeinen und die Theorieproduktion im Besonderen<br />

aufgehoben sind – eröffnet als forschungsleitendes Axiom auch eine neue<br />

Sicht auf das Verhältnis von materiellen Lebensbedingungen und symbolischen<br />

Systemen.<br />

Vor allem ermöglicht er, von der Vorstellung einer starren Gegenüberstellung<br />

beider wegzukommen, die sich eingebürgert hat, seit Durkheim<br />

festgestellt hat, „daß zum mindesten gewisse Kategorien soziale Dinge<br />

sind. ... Nicht nur daß die Gesellschaft sie eingesetzt hat, vielmehr bezeichnet<br />

ihr Inhalt (Hervorh. HS.) verschiedene Aspekte des Sozialen: ... Der Raum,<br />

den die Gesellschaft einnimmt, hat den Stoff für die Kategorie des Raumes<br />

geliefert...“ (Durkheim: Formen 587 f.). Diese Beobachtung hat Einiges für<br />

91 Zur Stellung der <strong>Praxis</strong>theorie in der Völkerkunde und Sozialwissenschaft vgl. den<br />

vorzüglichen Forschungsbericht von Sherry B. Ortner: Theory.<br />

92 Vgl. Sahlins: Vernunft, Giddens: Sociology und Giddens: Konstitution.<br />

93 Vgl. Oevermann: Hermeneutik, und Matthiesen: Konopka.<br />

94 Dementsprechend findet der <strong>Praxis</strong>begriff in der politischen Philosophie Antonio<br />

Gramscis einen Ausdruck, der dem Ansatz der <strong>Praxis</strong>theorie sehr nahe kommt.<br />

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