02.12.2012 Aufrufe

Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Alltagswelt durch den „heiligen Baldachin“ 81 der symbolischen Repräsentationen,<br />

ohne dabei die in diesen Sinnwelten ausgefochtenen Kämpfe zwischen objektiv<br />

gegensätzlichen Positionen zu beachten. Statt dessen lösen Berger und Luckmann<br />

mögliche gesellschaftliche Gegensätze in nebeneinander existierende „Teilsinnwelten“<br />

(Berger/Luckmann: Konstruktion 133 f.) hinein auf, welche für moderne<br />

pluralistische Gesellschaften typisch seien. Man kann beides als das Ergebnis aus<br />

dem Zusammenspiel einer egozentrischen Auffassung von Subjektivität mit der<br />

Annahme der Selbstverständlichkeit des lebensweltlichen Erfahrens und Sinngebens<br />

auffassen.<br />

Ich möchte die Theoreme keineswegs als gänzlich falsch bezeichnen. Auch<br />

steht außer Zweifel, dass subjektivistische Phänomenologie Vieles sehr genau in<br />

den Blick bekommt – nicht zuletzt die Zeitstruktur der subjektiven Erfahrung auf<br />

eine Weise, wie sie der strukturalistischen Analyse verborgen bleiben muss. Aber<br />

der Ansatz beim Subjekt greift zu kurz. Oder mit Horkheimer gesprochen: „Die<br />

bloße Beschreibung des bürgerlichen Selbstbewußtseins gibt also nicht schon die<br />

Wahrheit über diese Klasse. Auch die Systematisierung der Bewußtseinsinhalte des<br />

Proletariats vermöchte kein wahres Bild seines Daseins und seiner Interessen zu<br />

liefern.“ (Horkheimer: Theorie 34) Berger und Luckmann verweisen selbst auf eine<br />

gewisse Engführung des subjektivistischen Ansatzes, wenn sie zunächst feststellen:<br />

„Dieses Welterfassen ist nicht das Ergebnis selbstherrlicher Sinnsetzungen seitens<br />

isolierter Individuen, sondern es beginnt damit, daß der Einzelne eine Welt ‚übernimmt‘,<br />

in der Andere schon leben“ (Berger/Luckmann: Konstruktion 140); und<br />

zwar – wiederum subjektivistisch gedacht – durch die Beziehung zu einem<br />

„signifikanten Anderen“ (141) in der Primärsozialisation (das heißt also zu einer<br />

Zeit in der das Bewusstsein des Subjekts als eines selbstbewussten, rationalen und<br />

freien noch nicht in vollem Maße ausgebildet ist). Die Primär- und die Sekundärsozialisation<br />

finden „immer in einer gegebenen Gesellschaftsstruktur statt. ... Mit<br />

anderen Worten: mikrosoziologische oder sozialpsychologische Analysen der<br />

Internalisierungsphänomene müssen immer auf dem Hintergrunde eines makrosoziologischen<br />

Verständnisses ihrer strukturellen Aspekte vorgenommen werden“<br />

(Berger/Luckmann: Konstruktion 174).<br />

Mit dieser Problemstellung nähern sich Berger und Luckmann bereits einer Antwort<br />

auf die Frage nach der Erfahrung der Alltagswelt als einer evidenten und<br />

fraglosen an; auf die Frage also „nach der Deckungsgleichheit der analytischen<br />

Strukturen mit den einverleibten, welche die für das praktische Erfahren der<br />

vertrauten Welt typische Illusion unmittelbaren Verstehens verschafft und zugleich<br />

die Frage nach ihren eigenen Bedingungen der Möglichkeit ausschließt“<br />

(Bourdieu: Sinn 50). Dennoch reicht die Beobachtung von Berger und Luckmann<br />

nicht weit genug. Denn die Forderung der beiden Autoren nach einer Berücksich-<br />

81 Vgl. Berger: The Sacred Canopy, 1967; dt. Berger: Dialektik.<br />

111

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!