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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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strukturale Analyse der taxonomischen Systeme“ (156) beschreitet, um dann die<br />

semantische Funktion, den Verweis auf das Wirkliche, zu untersuchen. So bringt<br />

die Analyse „System und Ereignis“ (157) zusammen 89 und zielt damit auf das<br />

„Verständnis eines verborgenen (Hervorh. HS) Sinns in einem offenkundigen Sinn“<br />

(170). Diesen verborgenen Sinn versteht Ricoeur als die Wirksamkeit sprachlicher<br />

und psychischer Tiefenstrukturen. Die Suche nach Tiefenstrukturen ist zunächst<br />

nichts besonderes. Auch der klassische Strukturalismus hat das im Blick. Ricoeurs<br />

Hermeneutik der Rede bringt allerdings die Perspektive des tätigen Subjekts mit<br />

ins Spiel, verbindet also zentrale Elemente des semiologischen Objektivismus und<br />

des phänomenologischen Subjektivismus. Dabei ist wichtig, dass die Tiefenstrukturen<br />

aus der psychischen Konstitution der Subjekte herrühren und den Subjekten<br />

nicht bewusst sind, in der Rede aber als formende Kraft gegenwärtig sind. Die<br />

Analyse der Rede hat es also mit Tiefenstrukturen zu tun, die nicht Strukturen<br />

eines objektiven Zeichensystems sind. Vielmehr sind sie die Strukturen des Psychischen,<br />

die dem Reden (und Handeln) der Subjekte vorausliegen und dieses in<br />

einer Weise gestalten, die den Subjekten als solche nicht bewusst ist (oder sein<br />

muss).<br />

Die Hervorbringung der Sprache (Rede, nicht Sprachstruktur) und die Kräfte<br />

der Psyche gehen bei Ricoeur als relevanter Kontext in die Frage nach dem Sinn<br />

mit ein. Die Sprache und die Psyche sind nicht einfach nur auf kognitiver Ebene<br />

bedeutungsrelevant. Ricoeur versteht besonders die Psyche vom Begriff der Kraft<br />

her. 90 Die Kräfte der Psyche sind nicht einfach motivationaler Natur, in dem<br />

Sinne, dass sie im Rahmen bereits festliegender Sinnstrukturen Handlungen<br />

motivieren. Vielmehr formen die libidinösen Kräfte der Psyche – das Wollen, das<br />

Wünschen, das triebhafte Begehren – die Sinn- und Bedeutungsstrukturen nach<br />

Art von Kraftfeldern. Die Bedeutungsstrukturen der Sprache orientieren die<br />

Kräfte der Psyche und werden zugleich von diesen geformt. In seinen Überlegungen<br />

zur „Hermeneutik des Ich-bin“ verweist Ricoeur auf diesen Zusammenhang:<br />

„Die Sinnbeziehungen sind auf diese Weise in Kräfteverhältnisse eingeschachtelt.<br />

Die gesamte Traumarbeit drückt sich in dieser gemischten Rede aus: Die Kräfteverhältnisse<br />

kündigen sich an und verbergen sich in Sinnbeziehungen, während die<br />

Sinnbeziehungen zugleich Kraftverhältnisse ausdrücken und darstellen.“ (169)<br />

89 Insofern die Rede als Akt aufzufassen ist (Ricoeur: Wort 110) und das Wort „am<br />

Schnittpunkt von Sprache (langue) und Sprechen (parole), von Synchronie und Diachronie,<br />

von System und Prozeß steht“ (ebd.), markiert sie für die Analyse die kritische Trennungslinie<br />

von Geschichte und System. Die Rede ist zugleich abhängig vom System der Sprache<br />

und strukturierende Produktion eben dieses Systems. Ricoeur spricht in diesem Zusammenhang<br />

von „Arbeit der Sprache“, die es notwendig mache, eher im Terminus der<br />

Strukturierung als in dem der Struktur zu denken. (Ricoeur: Wort 120)<br />

90 Auch die Hervorbringung der Sprache kann als Kraft gedeutet werden, wenn man<br />

nicht wie Ricoeur von der semantischen Funktion als einem „Verweis auf die Wirklichkeit“<br />

ausgeht, sondern als dem Gebrauch der Sprache. Hier ist Ricoeur noch zu sehr der Signifikation<br />

verhaftet.<br />

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