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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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tigung der makrosoziologischen Perspektive bleibt so lange ohne signifikante<br />

Konsequenzen, wie das Verhältnis zwischen Sozialstruktur und Subjekt als ein<br />

Verhältnis der bloßen, sozialisatorisch erworbenen und in symbolischen Repräsentationen<br />

abgebildeten Entsprechungen gedacht wird, ohne sich bildende –<br />

weil sozialstrukturell angelegte – Widersprüche, Diskontinuitäten und Dissonanzen<br />

sowie die Veränderungen in der Zeit auch theoretisch und methodisch zu<br />

berücksichtigen.<br />

Dazu aber ist es nötig, nicht nur das Wissen der Subjekte über ihre Welt in der<br />

Analyse zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch (und in Abhebung vom Wissen<br />

selbst) die objektiven und implizit wirkenden Strukturen und die Herrschaftsweisen<br />

des gesellschaftlichen Lebens, die das Wissen strukturieren und in seinem<br />

So-Sein hervorbringen und verändern, sowie die Prozesse der Einverleibung,<br />

Transformation und Exteriorisierung dieses Wissens durch die Akteure. Die<br />

„Grundfrage der soziologischen Theorie“ sollte demnach nicht nur so gestellt<br />

werden: „Wie ist es möglich, daß subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität<br />

wird?“ (Berger/Luckmann: Konstruktion 20) Es wäre vielmehr hinzuzufügen (ohne<br />

damit eine zeitliche Abfolge zu implizieren): Wie ist es überdies möglich, dass<br />

objektive Faktizität gemeinten Sinn hervorbringt? Und wie arbeitet dieser Sinn in<br />

den Akteuren und wird von ihnen verarbeitet? Denn stillschweigend von der<br />

subjektiven Konstruktion der Wirklichkeit sowie der Fraglosigkeit und Legitimität<br />

des in der „Sinnwelt“ aufgehobenen Gegebenen auszugehen, läuft darauf hinaus,<br />

dass eine intersubjektiv orientierte wissenschaftliche Analyse von <strong>Praxis</strong>feldern –<br />

also Kontexten – systematisch etwas Wichtiges übersieht: dass nämlich gerade die<br />

objektiven Strukturen des Gegebenen die Grenze ziehen zwischen dem, was ein<br />

Subjekt in einer bestimmten Position wahrnehmen kann, und dem, was es nicht<br />

wahrnehmen kann. Es ist aber vielfach gerade das von den Subjekten nicht Wahrgenommene<br />

(sowohl das ihnen Selbstverständliche, in Fleisch und Blut Übergegangene,<br />

als auch auf der anderen Seite das ihnen Unbekannte, einem Anderen<br />

aber Bekannte), was die gesellschaftlichen Unterschiede als Distinktionsmerkmale<br />

– u.U. gesellschaftlicher Herrschaft – hervortreten lässt. Wenn also ein Katholik<br />

sich beim Betreten einer evangelischen Kirche bekreuzigt oder wenn ein zum<br />

Essen in die Vorstandsetage eingeladener „verdienter“ Arbeiter die Schneckenzange<br />

und ihre Funktion nicht kennt, dann ist es gerade das deplacierte Verharren<br />

im Bekannten bzw. das nicht Bekannte, das diese Personen in ihrer Position<br />

identifiziert und festlegt.<br />

Das Selbstverständliche, das die Subjekte als ihr gesellschaftlicher Hintergrund<br />

zutiefst bestimmt, ist auch und gerade dann anwesend, wenn man meint, ein<br />

intersubjektives Verhältnis aufgebaut zu haben, „so als gäbe es die objektiven<br />

Verhältnisse gar nicht“ (Bourdieu: Strukturalismus 19). Zwar ist es der phänomenologischen<br />

Soziologie gelungen, wichtige Verhaltensstereotype herauszuarbeiten,<br />

die eine gewisse Allgemeinheit zumindest in abendländischen Gesellschaften<br />

beanspruchen können. Aber es scheint doch eine zu weit greifende Annahme,<br />

intersubjektive Beziehungen zwischen zwei Menschen verstehen zu können, ohne<br />

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