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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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kann auch so sagen: Was man im Allgemeinen als strukturalen und performativen<br />

Aspekt der Sprache unterscheidet, gehört in der <strong>Praxis</strong> zusammen.<br />

Äußerungen von Personen, Diskurse wie auch Riten usw. sind keine<br />

bloßen „Interpretationsverfahren“ (Bourdieu: Sinn 67), mit denen sich die Betroffenen<br />

ihre Welt interpretieren. Sie werden getan bzw. zelebriert unter<br />

bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen, etwa sozialer Ungleichheit,<br />

und in bestimmten Situationen. Sie sind immer eingebunden in die praktischen<br />

Prozesse bestimmter Felder und deren Konjunkturen. Wenn man<br />

sie nur als Interpretation und nicht unter dem Aspekt der Strategie (oder<br />

mit Ricoeur: des Wunsches) auffasst, so wird man gerade ihren Gebrauchswert<br />

(im doppelten, strukturalistischen und vermittelt ökonomischen Sinne)<br />

verkennen. Dieser liegt darin, dass Äußerungen etc. unter ihren konkreten<br />

Umständen Wirkungen auf die Situationen und die diese bestimmenden<br />

(gesellschaftlichen, persönlichen, kollektiven etc.) weiteren Feldbedingungen<br />

haben und auch haben sollen.<br />

Wenn man Diskurse und sonstige sprachliche Äußerungen lediglich als<br />

Interpretationen der Wirklichkeit auffasst, bleibt man meines Erachtens<br />

auch noch zu nahe an einer Abbildtheorie des Bewusstseins. Im Hintergrund<br />

des wissenschaftlichen Denkens läuft so noch tendenziell die Vorstellung<br />

mit, man könne sich ein irgendwie getreues Bild der Welt machen, und<br />

<strong>Theologie</strong> habe dies mit Akribie zu betreiben. Ein radikales Beispiel zeigt,<br />

dass nicht die Abbildung von Welt oder von Offenbarung die Aufgabe<br />

von <strong>Theologie</strong> sein kann, sondern vielmehr die Bewältigung der praktischen<br />

Anforderungen an den gelebten Glauben. Die von mir untersuchten<br />

pfingstkirchlichen Gemeinden in Guatemala und Nicaragua haben –<br />

ebenso wie die gesamte apokalyptische Tradition vor ihnen 110 – gerade nicht<br />

durch eine getreue Abbildung der Welt, sondern durch eine praktische<br />

Verkennung der Welt neue Handlungsmöglichkeiten erschlossen und sich<br />

zum Durchstehen von schwersten Lebens- und Glaubenskrisen geholfen.<br />

Apokalyptiker gingen immer und gehen noch heute davon aus, dass es<br />

nicht mehr weitergehen wird mit der Welt, weil es aus ihrer Perspektive<br />

eben nicht mehr weitergehen kann. Sie erwarten das nahe Ende der Welt<br />

und ein baldiges Kommen des Erlösers. Das macht sie stark und gibt<br />

110 Vgl. Hellholm: Apocalypticism, als eine religionswissenschaftliche Grundlagenveröffentlichung,<br />

die immer noch state of the art repräsentiert. Im Blick auf das Verständnis der<br />

Entstehung alttestamentlicher Apokalyptik halte ich mich an Hanson: Apokalyptik, und<br />

Hanson: Apocalyptic. Zur Forschung in neutestamentlicher Apokalyptik vgl. den Bericht<br />

von Zager: Apokalyptik; zum sozialgeschichtlichen Hintergrund Wengst: Offenbarung. Vgl.<br />

auch Berger: Hermeneutik 411 ff. zur theologischen Interpretation.<br />

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