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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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in Affirmation jener Verhältnisse, unter denen die armen (selig gepriesenen)<br />

Christen objektiv leiden. 124<br />

Der Prediger verwandelt den Gegensatz zwischen armen und reichen<br />

Christen bei Lukas in den rein religiösen Gegensatz zwischen Mitgliedschaft in<br />

der Kirche und Nichtmitgliedschaft. Man wird hier selig gepriesen, wenn<br />

man einer (pfingstlichen) Kirche angehört, ganz gleich ob man reich oder<br />

arm ist. Adressat der Drohworte wird man, wenn man kein Kirchenangehöriger<br />

ist. Dies ist nicht vergleichbar mit der Veränderung der Unterscheidung<br />

von arm versus reich im vermutlichen Jesus-Logion in die<br />

Unterscheidung von armen Christen versus reichen Christen bei Lukas<br />

(Lukas 6, 20b versus 24). 125 Der Prediger ersetzt vielmehr die Grundunterscheidung<br />

und passt damit den Text an eine der wichtigsten Unterscheidungen<br />

in der praktischen Logik seiner Kirche an (Bekehrte versus Nicht-<br />

Bekehrte). Dies jedenfalls ist, was man den „Grundtenor“ seiner Botschaft<br />

nennen könnte. Und genau so würde jede kirchenleitende Person aus der<br />

Hauptstadt die Predigt des armen Landpastors auch hören. Die sozialkritisch<br />

(wenn auch innerkirchlich) orientierte Tendenz des lukanischen<br />

Textes wäre bei einem solchen Verständnis verloren; der Text wäre eine<br />

bloße Bestätigung vorfindlicher Kirchlichkeit.<br />

Diese zeichentheoretische Interpretation zeigt, wie schon auf der rein<br />

semiotischen Ebene Grundunterscheidungen umgewandelt werden können.<br />

Sie dringt aber noch nicht zu einem kontextbezogenen Verstehen des<br />

Textes vor. Praxeologische Interpretation geht noch ein Stück weiter,<br />

indem sie nach dem Gebrauch der Zeichen fragt. Um die Predigt praxeologisch<br />

zu verstehen, ist es zunächst nötig, sich über die Funktion von praktischer<br />

Schlüssigkeit und kreativer Unbestimmtheit für den Umgang mit<br />

Operatoren praktischer Logik klar zu werden. Danach werde ich das<br />

Beispiel der Predigt wieder aufgreifen.<br />

124 Was das Jesusbild des Lukas angeht, reiht auch Hengel: Eigentum 31 ff., die Gegenüberstellung<br />

von Weherufen und Seligpreisungen in die „radikale Kritik am Eigentum“ ein<br />

und erkennt damit die Opposition von Armut versus Reichtum als Grundopposition der<br />

Seligpreisungen an.<br />

125 ... übrigens eine häufige Operation der praktischen Logik, „wonach dasselbe Teilungsprinzip<br />

nicht nur auf das Ganze..., sondern auch auf jeden seiner Teile angewandt<br />

werden kann“ (Bourdieu: Sinn 458).<br />

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