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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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der Verlaufslogik von „Einheit, gegeben-verloren-erstrebt“ 193 ist sehr<br />

problematisch. Diese Verzeitlichung passt die metaphysischen Axiome<br />

lediglich einer modernen Auffassung von einem linearen und evolutiven<br />

Zeitverlauf an. Das metaphysische Ideal wird teleologisch transformiert<br />

zum Zielpunkt einer fiktiven Bewegung asymptotischer Annäherung,<br />

welche die Kirchen vollziehen sollen, um sich auf den Idealzustand der<br />

Einheit hin zu bewegen. Dies ist die Logik des konservativen Utopismus<br />

im 20. Jahrhundert. 194 Und schließlich unterwirft auch der beständige<br />

(restplatonische) Bezug auf ein angebliches „Wesen“ der Kirche die ökumenische<br />

<strong>Praxis</strong> der Illusion, die Kirche sei ein Ding und in diesem Ding<br />

stecke schon sein „Wesen“, dem sich das Ding in seiner äußeren Form<br />

möglichst anzugleichen habe.<br />

Mit praxeologischem Vokabular und dem Modell des Netzwerks lässt sich<br />

anders von der Einheit der Kirche reden. Denn die Einheit der Kirche als<br />

Leitgedanke ökumenischer Arbeit bräuchte nicht einfach aufgegeben<br />

werden, wenn nur Dialog und Kooperation selbst als realisierte Einheit<br />

betrachtet würden. Dies erscheint nur beim ersten Hinsehen als ein argumentativer<br />

Trick. Unter der Voraussetzung einer relationalen Auffassung<br />

von Wirklichkeit ist es eine reale Möglichkeit, Ökumene zu leben.<br />

Anknüpfen kann man an der neueren ökumenischen Diskussion um<br />

Ekklesiologie und Ethik. Meine weitergehenden Überlegungen operieren<br />

mit einer Übertragung des Modells christlicher Identität als eines offenen,<br />

habitualisierten Netzes von Dispositionen auf die Ekklesiologie. Als erstes<br />

redet man dann nicht mehr von „Wesen der Kirche“, sondern von Identitäten<br />

verschiedener Kirchen. Diese kann man folglich als historisch gewachsen<br />

und als offen für weitere Veränderungen begreifen. Das Modell<br />

des Netzes der Dispositionen ermöglicht hier, die Identität von Kirchen<br />

als kollektive Netzwerke von Dispositionen vor allem kognitiver Art<br />

darzustellen. Damit sind theologische Positionen als kirchliche Praxen in<br />

konkreten Kontexten aufgefasst und zugleich dem theologischen Gespräch<br />

als unterschiedliche theologische „Rationalitäten“ (Welsch) zugänglich<br />

gemacht. Der Sinn theologischer Inhalte im Rahmen von Strategien<br />

193 ...wie der Titel der vorzüglichen Dissertation von Thomas Brandner: Einheit, die<br />

Leitvorstellung von Faith and Order zusammenfasst.<br />

194 Die asymptotische Annäherung an ein utopisches Ziel ist implizites Axiom einer<br />

Vielzahl von Weltanschauungen und Vokabularen des 20. Jahrhunderts vom Neoliberalismus<br />

über Poppers Wissenschaftslogik bis zum Stalinismus in je unterschiedlicher Weise.<br />

Vgl. hierzu die Kritik der utopischen Vernunft in Hinkelammert: Vernunft.<br />

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