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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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nen könne. 154 Wenn christliche <strong>Theologie</strong> sagt „Gott ist Wahrheit“,<br />

schließt sie derlei Auffassungen aus, denn niemand hat Gott je gesehen.<br />

Und wenn Jesus, nach Johannes, sagt „Ich bin der Weg, die Wahrheit und<br />

das Leben“, so heißt das kaum, dass wir die Wahrheit bereits hätten, sondern<br />

vielmehr, dass wir diesem so qualifizierten Jesus nachgehen können.<br />

Dann aber erschließt sich Wahrheit über Erfahrung und nicht über Benennung.<br />

Was christliche Wahrheit ist, erschließt sich folglich nicht, indem<br />

man ein Wort oder einen Satz dafür findet und ausspricht, zum Beispiel:<br />

„christos kyrios“. Sie erschließt sich vielmehr, indem man diesem Satz entsprechend<br />

lebt und er-fährt, was es heißt, diesen Satz für wahr zu halten.<br />

Man lernt ja auch Italien nicht dadurch kennen, dass man sagt „Italien ist<br />

schön“, sondern indem man es Goethe nachtut und eine „italienische<br />

Reise“ unternimmt.<br />

Zwei Elemente sind für einen praxeologischen Wahrheitsbegriff<br />

wichtig: die metaphorische Struktur von Wahrheit und ihre Bindung an<br />

sinnlich menschliche Tätigkeit, das heißt an konkretes Leben mit allen<br />

seinen Chancen und Grenzen. Zum einen scheint es mir nützlich, von<br />

einer – wie Jüngel sagt – „positiven“ Interpretation der These Nietzsches<br />

auszugehen, Wahrheit sei ein „bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien,<br />

Anthropomorphismen...“ 155 . Dabei sollte man allerdings (im Unterschied<br />

zu Jüngel und Rorty) auch den zweiten Teil des Satzes von Nietzsche<br />

beachten: Wahrheit ist ein „bewegliches Heer von Metaphern, Metonoymien,<br />

Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen,<br />

die poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden<br />

und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken.“<br />

156 Eine „positive“ Interpretation müsste also auch berücksichtigen,<br />

dass Metaphern auf einer Grundlage von in den Habitus abgesunkenen<br />

und als Dispositionen verfestigten Schemata entstehen. Die theologisch<br />

erschließende Wirkung kreativer Metaphern stellt sich folglich nur in der<br />

präzisen Differenz zu den verfestigten kognitiven, affektiven und körperlichen<br />

Dispositionen und Praktiken ein. Nach dieser Auffassung könnte<br />

man Wahrheit als unterbrechendes Ereignis verstehen, welches durch die<br />

unerwartete Arbeit der Metapher zustande kommt (etwa durch die Eröffnung<br />

der religiösen Dimension eines bestimmten Widerfahrnisses) und<br />

154 Ich lehne mich hier an Rorty: Kontingenz 49, an.<br />

155 Nietzsche: Wahrheit 314; zur „positiven“ Interpretation siehe Jüngel: Wahrheit 139 ff.,<br />

sowie Rorty: Kontingenz 43 ff. und praktisch den gesamten ersten Teil des Buches.<br />

156 Nietzsche: Wahrheit 314, Hervorhebung HS.<br />

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