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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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jeder Wahrnehmung voraus, strukturieren sie und sorgen für eine Interpretation<br />

innerhalb der sozialisatorisch angeeigneten Habitus. 58<br />

Unter dieser Voraussetzung – nicht nominalistisch, sondern praxeologisch<br />

verstanden – können religiöse Systeme sogar theologisch untersucht<br />

werden, ohne dass damit irgendwelche metaphysischen Existenzaussagen<br />

impliziert sind. Umgekehrt braucht man aber mit der Analyse der religiösen<br />

Erfahrung die Möglichkeit göttlicher Offenbarung nicht prinzipiell,<br />

sondern nur methodisch auszuschließen. Allerdings wird man nicht versuchen,<br />

irgendeine vermeintlich „genuin religiöse“ Erfahrung als Form der<br />

Offenbarung „des Heiligen“ oder als privilegierten, positiven Anknüpfungspunkt<br />

von Offenbarung zu isolieren. Vielmehr wird man religiöse<br />

Erfahrung verstehen als Produkt der Verarbeitung irgendwelcher Erfahrungen<br />

vermittels eines Systems religiöser Dispositionen der Wahrnehmung,<br />

des Urteilens und des Handelns (ganz gleich wie tief habituell<br />

verankert oder wie neu es für die jeweiligen Akteure ist). Dieses Deutungsund<br />

Handlungssystem wiederum kann man auffassen als praktische Bedingung<br />

der Möglichkeit der Rede von Offenbarung und des Gebrauchs<br />

dieser Rede.<br />

Wenn ich religiöse Erfahrungen als etwas von anderen Erfahrungen<br />

nicht prinzipiell Unterschiedenes auffasse, so geht das auch auf Zurückhaltung<br />

gegenüber einer theologisierenden Religionswissenschaft zurück, die<br />

sich als Wissenschaft vom „Erlebnis jenseitiger Realitäten“ (Heiler) oder<br />

als „saving discipline“ (Eliade) 59 versteht. Ebenso vorsichtig verhalte ich<br />

mich gegenüber theologischen Denkansätzen, die Religionswissenschaft<br />

überfremden, Religion als etwas metaphysisch „Gegebenes“ betrachten<br />

und religiös interpretierte Ereignisse oder Gefühlsregungen als Erweis der<br />

Präsenz und Existenz des Göttlichen auffassen. Das Staunen etwa, welches<br />

Betrachter des sternenklaren Himmels oder des offenen Ozeans ergreift,<br />

sollte man nicht schon deshalb als religiöse Erfahrung begreifen, weil sich<br />

ihm Vorstellungen von umfassender Größe oder von Einheit mit dem<br />

Universum etc. konnotieren oder weil neuerdings manche Physiker aufgrund<br />

der Existenz von schwarzen Löchern oder unerklärlichen Turbulenzen<br />

am „Rande“ des bekannten Alls die Öffentlichkeit und die Theologen<br />

auf die Möglichkeit der Existenz Gottes hinweisen. Derartiges Staunen<br />

kann aufgefasst werden als Ansatz in der Welterfahrung, der über die<br />

58 Wittgenstein: Untersuchungen 518 ff. (II, xi). Wittgensteins Überlegungen werden heute<br />

in eindrucksvoller Weise durch die Hirnforschung bestätigt.<br />

59 Beide Zitate nach Gladigow: Religionswissenschaft 27 und 30.<br />

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