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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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Genau dies ist für die <strong>Theologie</strong> der Fall mit dem Schriftbezug. Immer<br />

ist der Bezug auf das Andere die Möglichkeit zur Relativierung des Eigenen.<br />

Und eine Form des theologischen Anderen ist die Schrift. Gewiss,<br />

jeder Mensch liest den Text der Schrift verschieden. Aber die exegetischen<br />

Methoden haben der Willkür Grenzen gesetzt. Man kann sie deshalb als<br />

ein Mittel der Selbstbehauptung des Textes gegen die aktuellen Kontexte<br />

auffassen: ein Mittel zur Bewahrung der Fremdheit der Textes und der<br />

Relevanz von <strong>Theologie</strong>. Denn die Relevanz der <strong>Theologie</strong> besteht präzise<br />

darin, die Konjunkturen der <strong>Praxis</strong>felder – unter Einschluss der Habitus<br />

der Akteure – mit dem Zeugnis der Schrift und der theologischen Tradition<br />

zu konfrontieren und daraus Neues hervorzubringen, das für das <strong>Praxis</strong>feld<br />

in theologischer Weise von Bedeutung ist, also zum Beispiel die<br />

Rechtfertigung des Sünders, die theosis des Menschen oder die Wiederkunft<br />

Christi etc. aktuell zur Sprache bringt. <strong>Theologie</strong> ist mithin angewiesen auf<br />

die Erinnerung an Schrift und Tradition, aber im Zusammenhang aktueller<br />

Kontexte. Die Objektivität von Schrift und Tradition kann nicht aufgegeben<br />

werden. Die Kirchenväter und selbst geschlossene theologische<br />

Systeme wie Thomas von Aquins Summa, Calvins Institutio oder noch die<br />

Werke lutherischer und reformierter Orthodoxie können wichtige Bezugspunkte<br />

werden. Aber theologische Arbeit transformiert diesen Rückbezug<br />

gemäß der aktuellen Lage, wie diese in den Habitus der Theologinnen und<br />

Theologen inkorporiert ist. <strong>Theologie</strong>treiben ist sinnlich menschliche<br />

Tätigkeit, die orientiert und begrenzt ist von den Dispositionen der Habitus<br />

und die diese Dispositionen in der Auseinandersetzung mit der Tradition<br />

transformiert.<br />

Aber nicht nur Fremdes gibt Impulse für kritische Auseinandersetzung<br />

mit den eigenen Kontexten. Auch die Kontexte selbst generieren solche<br />

Impulse; und zwar durchaus unter der Voraussetzung einer objektiven<br />

Angepasstheit der Dispositionen. Diese Impulse zur Kritik entstehen aus<br />

Konflikten, in die die Akteure einbezogen sind. Die Konflikte um ungleich<br />

verteilte Chancen und Grenzen, die Kämpfe, um zu überleben oder besser<br />

zu Leben, Arbeitskämpfe, Stammesfehden – jede Art von Brüchen<br />

menschlicher Relationen, die die Fortführung gewohnter Weisen zu leben<br />

in Frage stellen, generieren Kritik an den Verhältnissen und Nachfrage<br />

nach anderen Handlungsperspektiven. Es bedarf also nicht einmal der<br />

Konfrontation mit der Tradition; die gesellschaftliche Gegnerschaft der<br />

konkurrierenden Gruppen reicht aus, um die objektiv angepassten Dispositionen<br />

der unterschiedlichen Akteure zu aktivieren und in der Auseinandersetzung<br />

mit eben dieser Konflikt- bzw. Konkurrenzsituation neue<br />

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