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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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ihnen Hoffnung. Wären die frühen Apokalyptiker in Smyrna, Laodicea<br />

und all den anderen Orten von einer Repräsentation der Welt ausgegangen,<br />

wie sie sich ex post als „korrekt“ erwiesen hat, hätten sie also um das<br />

Fortbestehen der Welt und den Fortgang all der Scheußlichkeiten bis hin<br />

zu Auschwitz, Vietnam und Bosnien gewusst – sie hätten wahrscheinlich<br />

ihren Glauben und ihre Hoffnung verloren. Und auf uns Heutige wäre<br />

wohl kaum die Johannes-Apokalypse überkommen und somit auch nicht<br />

dieser Hinweis darauf, wie man um des Glaubens und des Lebens willen<br />

die Welt ganz praktisch verkennen kann. Zugespitzt im Blick auf Offenbarung<br />

(vgl. S. 180) gesagt: Offenbarung ist hier gerade nicht Erkennen,<br />

sondern Verkennen der Welt. Für die Elenden der Apokalyptik ist sie<br />

Unterbrechung des bereits unterbrochenen Lebenszusammenhangs: Herstellung<br />

praktischer Kontinuität und Ermöglichung des Überlebens.<br />

Die Orientierung am Gebrauch statt an der korrekten Abbildung gilt<br />

übrigens auch und gerade für religiöse Spitzenäußerungen wie zum Beispiel<br />

Bekenntnis und Verfluchung.<br />

Bourdieu greift einen Extremfall performativer Sprache auf: die Verfluchung.<br />

(Bourdieu: Sinn 176) Sie wird einerseits erzeugt und verstanden auf<br />

der Grundlage von den Strukturen geteilter religiöser Zeichensysteme.<br />

Aber was bleibt etwa von einer Verfluchung von Nachkommen ohne die<br />

folgenden drei Bedingungen: ohne den Willen der Vorfahren, ihre Macht<br />

über ihren Tod hinaus gegen den Willen von Nachkommen aufrecht<br />

halten zu wollen; ohne die subjektive Disposition der Verfluchten, die<br />

Verfluchung als wirksame Handlung zu akzeptieren; und ohne die Bestätigung<br />

ihrer Wirksamkeit durch die Entwicklung der faktischen Lebensbedingungen<br />

der Verfluchten? Findet eine Verfluchung keinen wahrnehmbaren<br />

Ausdruck im Verhalten der Verfluchenden, wird sie nicht gehört<br />

und nicht überliefert, und werden ihre Folgen nicht gefürchtet, wird sie<br />

also nicht „gebraucht“, wo bleibt dann ihre Wirkung?<br />

Ähnliches gilt auch für Bekenntnisse. Die klassische theologische Theorie<br />

der Bekenntnisse berücksichtigt deren Gebrauch durchaus, und zwar<br />

als deren kerygmatische, abgrenzende (anathema!), gemeinschaftsbildende<br />

und auch doxologische Funktionen. Bekenntnisse sind demnach keineswegs<br />

in erster Linie objektive Zusammenfassungen der rechten Lehre und<br />

damit Handbücher über theologische Positionen der sie Formulierenden.<br />

In erster Linie sind sie auf Wirkung aus. Sie proklamieren bestimmte theologische<br />

Positionen und deren Ansprüche in einem Feld von konkurrierenden<br />

kirchlichen und (meist auch) politischen und anderen gesellschaftli-<br />

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