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Praxis - Theologie - Universität Bielefeld

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Der Habitus bringt also Wahrnehmung, Denken und Handeln hervor<br />

und strukturiert sie gleichzeitig. (Bourdieu: Entwurf 164 f.) Als einverleibte<br />

Erfahrung gesellschaftlicher <strong>Praxis</strong> orientiert und begrenzt der Habitus<br />

vermittels der Strukturierung der kognitiven Dispositionen (oder: der<br />

praktischen Logik der Akteure) bereits die Wahrnehmung der Welt und die<br />

wertende Klassifizierung; er strukturiert Erfahrung, indem er die Grundunterscheidungen<br />

der Wahrnehmung bereitstellt. Und zugleich erzeugt der<br />

Habitus (implizit und meist ohne Beteiligung des Bewusstseins, aber auch<br />

unter explizitem Einbeziehen bewussten Kalküls) die Antwort der Akteure<br />

auf die von ihnen erfahrene Wirklichkeit, ihr Reden und Handeln, ihre<br />

<strong>Theologie</strong>.<br />

Die Dispositionen des Habitus sind nicht nur kognitiv, sondern auch<br />

affektiv und leiblich. Erkennen ist immer sofort mit Gefühlen und Körperzuständen<br />

verbunden. 160 Man sieht etwas Bestimmtes, bekommt eine<br />

„Gänsehaut“ und Ekel ergreift einen; man hört eine bestimmte Musik, der<br />

Körper entspannt sich mit einem Wohlgefühl und ein Lächeln tritt auf die<br />

Lippen. So wie die kognitiven Dispositionen des Habitus als ein Netz von<br />

Schemata aufgefasst werden können, kann man auch die affektiven und<br />

körperlichen Dispositionen in einem Modell darstellen. Als Netze von<br />

Schemata, die denen der Kognition weitgehend homolog sind, wenn auch<br />

nicht identisch. Für <strong>Theologie</strong> im engeren Sinne (nicht für Religion im<br />

Allgemeinen!) sind freilich die kognitiven Dispositionen stark vorrangig –<br />

allerdings immer unter der Voraussetzung, dass sie eng mit den affektiven<br />

und leiblichen verbunden sind. Von den kognitiven Dispositionen ausgehend<br />

kann man das Modell des Habitus nutzen, um auch das <strong>Theologie</strong>-<br />

Treiben als eine sinnlich menschliche Tätigkeit zu begreifen.<br />

Zunächst gilt es allerdings, einem möglichen Missverständnis vorzubeugen.<br />

Für protestantische Ohren schwingt im Begriff des Habitus immer gleich<br />

die scholastische Habitus-Theorie und ihr Zusammenhang zur Gnadenlehre<br />

mit. Ich möchte hier klarstellen, dass es in anthropologischer<br />

Hinsicht allenfalls gewisse Ähnlichkeiten gibt, die freilich nicht sehr weit<br />

gehen. Zunächst einmal verfolgt der praxeologische Habitusbegriff keine<br />

ontologischen Absichten; er ist lediglich ein konstruiertes Modell zum<br />

besseren Verstehen sozialer und humaner Vorgänge. Der entscheidende<br />

Unterschied liegt aber im theologischen Feld: Der scholastische Habitus-<br />

160 Mehr dazu in Schäfer: Theorie 371 ff. mit Bezug auf Antonio Damasio und Luc<br />

Ciompi.<br />

192

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