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JAHRESBERICHT 2000/2001 - Fritz Thyssen Stiftung

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KUNSTWISSENSCHAFTEN 120<br />

und in dem normabweichendes Verhalten nicht durchgreifend sanktioniert<br />

wurde, eröffnete August <strong>Thyssen</strong> Handlungsspielräume für<br />

die individuelle Entfaltung von Bürgerlichkeit, und bei der Wahl der<br />

persönlichen Lebensentwürfe und der eigenen wirtschaftsbürgerlichen<br />

Alltagsstrategien.<br />

Welche Besonderheiten im Wertekanon und der Lebensführung lassen<br />

sich bei August <strong>Thyssen</strong> unter Berücksichtigung der milieuspezifischen<br />

Bedingungen ausmachen?<br />

– Der bürgerliche Habitus <strong>Thyssen</strong>s, seine Wahrnehmungs-, Denkund<br />

Handlungsschemata speisten sich besonders aus seinem<br />

Selbstverständnis als handelnder Eigentümer-Unternehmer und<br />

einem ausgeprägten Arbeits- und Leistungsethos, das er gerade<br />

in adeligen Gesellschaftskreisen vergebens suchte.<br />

– Im individuellen Wertehimmel zeichnen sich deutlich Dissonanzen<br />

und Spannungsverhältnisse zwischen Anspruch und Wirklichkeit<br />

ab. Der von August <strong>Thyssen</strong> wiederholt vorgetragene<br />

Wunsch, ein harmonisches, bürgerliches Familienleben zu führen<br />

(der letztlich durch Schloss Landsberg als Ort regelmäßiger Familientreffen<br />

architektonisch seinen Ausdruck fand), stand in scharfem<br />

Kontrast zu den innerfamiliären Strukturen und Machtverhältnissen:<br />

Weder hatte er nach früher Scheidung die nach zeitgenössischen<br />

Vorstellungen für den Ehemann unabdingbare „liebende<br />

Gattin“ und „treusorgende Mutter“ an seiner Seite, noch<br />

wurden die persönlichen Wertpräferenzen von seinen Söhnen<br />

August junior, <strong>Fritz</strong> und Heinrich geteilt. Die männlichen Nachkommen<br />

lehnten das von <strong>Thyssen</strong> verfochtene Modell des autoritären<br />

Familienpatriarchen ab, strebten nach Adelstitel und verknüpften<br />

ihren eigenen Wertekanon weniger mit dem Firmenwohl<br />

des Unternehmens.<br />

– August <strong>Thyssen</strong> „imitierte“ zentrale Elemente wirtschaftsbürgerlicher<br />

Lebensführung. So nahm der Unternehmensgründer<br />

durchaus am kulturellen Leben teil und besaß kulturelles Kapital<br />

in seiner materiellen Form. Eine systematische „Sammlerleidenschaft“,<br />

eine über Jahrzehnte erworbene „inkorporierte“ Fähigkeit,<br />

sich mit den Inhalten von Kunst und Kultur gezielt auseinanderzusetzen,<br />

ist dagegen wenig zu erkennen. Ebenso ist fraglich,<br />

ob August <strong>Thyssen</strong> als Bauherr den Umbau seines neuen<br />

Wohnsitzes maßgeblich beeinflusste und darüber hinaus die<br />

Geschichte und Tradition der architektonischen Arrangements<br />

bewusst reflektierte. Bei einer näheren Untersuchung der Ausstattung<br />

von Schloss Landsberg wird deutlich, dass zwar wichtige<br />

Elemente bürgerlicher Freizeit- und Geselligkeitskultur wie Tennisplatz,<br />

Pferdeställe oder die Möglichkeit zur Jagd vorhanden<br />

waren, sie von <strong>Thyssen</strong> selbst aber nicht genutzt wurden.<br />

Die spezifischen Bedingungen wirtschaftsbürgerlicher Wohn- und<br />

Lebensformen im Ruhrgebiet, die besonderen Charakteristika der lokalen<br />

großbürgerlichen Milieus sowie ihre Rückwirkungen auf die

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