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JAHRESBERICHT 2000/2001 - Fritz Thyssen Stiftung

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KUNSTWISSENSCHAFTEN 126<br />

Lütolf (Musikwissenschaftliches Seminar, Universität Zürich) erhalten<br />

für das Projekt „Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters“<br />

Fördermittel der <strong>Fritz</strong> <strong>Thyssen</strong> <strong>Stiftung</strong>.<br />

Die seit dem 10. Jahrhundert fassbaren Gesänge mit volkssprachigen<br />

(mittelhochdeutschen oder mittelniederländischen), nicht selten aber<br />

auch mit lateinischen Strophen durchsetzten Texte geistlichen Inhalts<br />

bilden ein breitgefächertes Repertoire, das zu gewissen Zeiten<br />

und Gelegenheiten in die offizielle Liturgie einbezogen werden<br />

konnte, häufiger jedoch für die Veranstaltungen privater Andacht<br />

bestimmt gewesen sein dürfte. So unterschiedlich die Funktion dieser<br />

Gesänge war, so vielschichtig sind ihre thematischen Bereiche<br />

und ihre formalen Erscheinungsformen. Es finden sich Antiphonen,<br />

Hymnen, Leiche und Sequenzen, Tischsegen und Preislieder wie<br />

auch geistliche Meisterlieder, Sangsprüche, Tanz-, Trink- und Tagelieder.<br />

Christologische und marianische Texte wechseln mit Inhalten<br />

allgemeiner, nicht selten aus dem Weltlichen ins Geistliche gewendeter<br />

Bedeutung. Aus nur einer kurzen Zeile bestehende Rufe kontrastieren<br />

mit Gebilden von gegen dreißig mehrgliedrigen Strophen.<br />

Die überwiegende Zahl der Gesänge basiert auf einer für alle Strophen<br />

gleichbleibenden oder aber von Strophe zu Strophe wechselnden<br />

Melodie. Manche Stücke – die sich übrigens bezüglich der<br />

Frage, ob und von wem sie gesungen worden sind, schwer zuweisen<br />

lassen – beschränken sich jedoch nicht auf die Einstimmigkeit, sondern<br />

sind zwei-, drei- oder vierstimmigen kantionalsatz- oder motettenartigen<br />

Liedbearbeitungen unterzogen worden. Es handelt sich<br />

bei diesen ein- und mehrstimmigen Gesängen zumeist um Streuüberlieferungen<br />

anonymer Autoren. Vereinzelt finden sich aber auch<br />

kohärente Sammlungen geistlicher Spruchdichtungen, die so bekannten<br />

Meistern wie dem Mönch von Salzburg, Oswald von Wolkenstein,<br />

Hugo von Montfort, Heinrich von Mügeln oder Michel Beheim<br />

zugeordnet werden können.<br />

Das hier in den Umrissen charakterisierte Corpus mittelalterlicher<br />

volkssprachiger Sangeskunst bis ca. 1530 umfasst nach dem gegenwärtigen<br />

Stand der Kenntnisse um die 800 Gesänge. Zählt man die<br />

im Verlauf der Jahrhunderte durch textliche und/oder musikalische<br />

Veränderungen entstandenen Variantfassungen hinzu, sind es weit<br />

über 1.000. Auf diese Weise entsteht eine kritische Edition dieses<br />

neu, über weite Strecken erstmals erschlossenen Repertoires. Unter<br />

dem Titel „Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters“ wird es<br />

als Abteilung II des unter dem Dach der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen<br />

Edition des deutschen Kirchenlieds“ im Erscheinen begriffenen<br />

Großprojekts veröffentlicht werden. Die Publikation richtet<br />

sich nicht nur an den Hymnologen, sondern an Mediävisten der verschiedensten<br />

Fachrichtungen. Die neue Materialbasis dürfte der Literatur-<br />

und der Sprachwissenschaft nicht weniger als der Musikwissenschaft,<br />

der Kultur- und der Frömmigkeitsgeschichte ebenso wie<br />

der Sozial- und der Rezeptionsgeschichte Impulse zu weiterführenden<br />

Forschungsunternehmen verleihen. Auch die Theologie und mit

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