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JAHRESBERICHT 2000/2001 - Fritz Thyssen Stiftung

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SPRACH- UND LITERATURWISSENSCHAFTEN<br />

Psychoanalyse fasste traumatische Ereignisse als Schock, als Einbruch<br />

in die psychische Organisation und deren dauerhafte Schädigung.<br />

Im Verhältnis von Erfahrung und Erinnerung gehören die<br />

Feststellung der konstitutiven Nachträglichkeit und des Modus der<br />

Wiederholung sowie der kryptischen Faktur der sprachlichen Realien<br />

des Traumas zu den grundlegenden theoretischen Entdeckungen<br />

der Psychoanalyse.<br />

In der Folgezeit hat es sich eingebürgert, die historischen Katastrophen<br />

des 20. Jahrhunderts, insbesondere die beiden Weltkriege und<br />

den Holocaust, in ihrer Erfahrungsdimension mit dem Begriff des<br />

Traumas zu verbinden. Individuen und Gemeinschaften erscheinen<br />

als Opfer von Verwüstungen, deren Wirklichkeit ihnen immer nur<br />

schattenhaft und partiell zugänglich ist. Was als Ereignis eine tiefgehende<br />

Verletzung darstellt, manifestiert sich erst mit zeitlicher Verzögerung<br />

in traumatischen Wiederholungen, Phantasmen und<br />

nachträglichem Verarbeitungsbemühungen. Diese Struktur des<br />

Traumas impliziert seine Angewiesenheit auf Modalitäten der Inszenierung<br />

und der Fiktion. Was nicht gewusst oder erkannt werden<br />

kann, muss durchgespielt und durchgearbeitet werden, ohne allerdings<br />

an ein Ende zu kommen.<br />

Diese Inszenierung und Verarbeitung kollektiver und individueller<br />

Traumata ist sowohl in der Literatur des 20. Jahrhunderts als auch in<br />

den darstellenden Künsten und kommunikativen Medien auf vielfältige<br />

Weise geschehen. Dabei modellieren literarische Texte im Unterschied<br />

zu ästhetischen Medien den Verlust identitätsstiftender Erinnerung<br />

und identitätssichernden Gedächtnisses durch Erzählen in<br />

Fragmenten, Variationen, Wiederholungen und palimpsestartigen<br />

Überschreibungen, die sich als Inszenierungen von Biographie und<br />

Geschichte lesen lassen.<br />

Das Forschungsvorhaben umfasst zwei Arbeitsbereiche:<br />

– Die Rekonstruktion diskursiver Konzepte von Trauma, die im<br />

Umkreis medizinischer, psychiatrischer und psychoanalytischer<br />

Untersuchungen entwickelt worden sind. Zum einen ist zu<br />

klären, welchen theoretischen Status Trauma in den methodischen<br />

Umbrüchen der Psychoanalyse hat. Dabei geht es u. a.<br />

darum, die Ambivalenzen des Begriffs in den Relationen von Realität,<br />

Imagination und symbolischer Ordnung in den entsprechenden<br />

diskursiven und narrativen Figurationen zu untersuchen. In<br />

diesem Kontext stellt sich auch die Frage nach den epochespezifischen<br />

Indikationen, die von unterschiedlichen Traumakonzepten<br />

im Spannungsfeld von Metapsychologie und Philosophie ausgehen.<br />

– Die Verarbeitung und Inszenierung traumatischer Ereignisse in<br />

literarischen – zumeist fiktionalen und autobiographischen – Texten<br />

(u. a. von C. Baudelaire, M. Proust, M. Blanchot, C. Simon, N.<br />

Sarraute, J. Heller, P. Levi, P. Barker). In diesem Zusammenhang<br />

soll u. a. das Verhältnis von Schock, Trauer, Melancholie und

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