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JAHRESBERICHT 2000/2001 - Fritz Thyssen Stiftung

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63<br />

GESCHICHTSWISSENSCHAFTEN<br />

die Behandlung der Ausländer- und Fremdenproblematik in der<br />

DDR in einen langfristigen Zusammenhang gestellt werden.<br />

Einerseits soll nach der Wirkmächtigkeit von Kontinuitäten nationaler<br />

Identität gefragt werden. Das kollektive Gedächtnis und die Prägung<br />

der nationalen Identitäten der Akteure reichten in der älteren<br />

Generation wenigstens bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Die<br />

Geschichte des Umgangs mit „Fremd-Sein“ und der Konstruktion<br />

des „Eigenen“ hat in der DDR ihre Vorgeschichte, die sich bis zur<br />

Reichsgründung 1871, dem Umgang mit Fremden im Deutschen Kaiserreich<br />

und seinem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1913 zurückverfolgen<br />

lässt. Weitere prägende Erfahrungen mit Fremden stellten für<br />

die ostdeutsche Bevölkerung u. a. die Kriegserfahrung der Wehrmachtsangehörigen,<br />

die massenhafte Präsenz von Fremdarbeitern<br />

im Zweiten Weltkrieg und die Aufnahme von Vertriebenen nach<br />

1945 dar.<br />

Andererseits hatte das spannungsgeladene Verhältnis von Herrschaft<br />

und Gesellschaft im Staatssozialismus weitreichende Konsequenzen<br />

für die Interaktion zwischen Bürger und staatssozialistischer<br />

Obrigkeit und für die Beschaffenheit der Gesellschaft im<br />

Ganzen. Das Misstrauen der Bevölkerung zu den Institutionen des<br />

SED-Staates machte die DDR-Bürger zu „Fremden im eigenen<br />

Land“ und wirkte sich auch auf die Interaktionsprozesse zwischen<br />

„Autochthonen“ und „Fremden“ aus. Das Projekt geht davon aus,<br />

dass die historischen Akteure in der staatssozialistischen Gesellschaft<br />

in eine trianguläre Beziehungsstruktur eingebunden waren:<br />

kommunistische Staatspartei, Bevölkerung und die „Fremden“, wobei<br />

im Konflikt um materielle und ideelle Ressourcen innerhalb der<br />

Gesellschaft sich verschiedene Koalitionen zwischen den drei Polen<br />

bildeten, die in jedem einzelnen Fall wiederum zu unterschiedlichen<br />

gesellschaftlichen „faultlines“ und damit zu neuen Kräftekonstellationen<br />

führen konnten.<br />

Aus der Verknüpfung von ideengeschichtlicher, sozialgeschichtlicher<br />

und komparatistischer Perspektive ergeben sich folgende, im<br />

Rahmen des Vorhabens zu überprüfende Ausgangsthesen:<br />

– Da die Präsenz von Ausländern eng an die Interessen der Staatspartei<br />

gekoppelt war, kann man davon ausgehen, dass die<br />

„Fremden“ von der Bevölkerung auch als Symbol der kommunistischen<br />

Herrschaft gesehen wurden.<br />

– Im Gegensatz zur Nachkriegsentwicklung in den Demokratien<br />

Westeuropas gab es in den Staaten des Ostblocks keine öffentliche<br />

Entwertung völkisch-nationalistischer Weltanschauungen.<br />

Zentraler Bezugspunkt für Regime und Bevölkerung blieben die<br />

gemeinsame Abstammung, Sprache und Kultur. Die dabei tendenziell<br />

als geschlossene Gemeinschaft imaginierte sozialistische<br />

Nation grenzte sich sehr stark von „Klassenfeinden“, aber implizit<br />

auch von Ausländern ab.

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