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JAHRESBERICHT 2000/2001 - Fritz Thyssen Stiftung

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THEOLOGIE UND RELIGIONSWISSENSCHAFT 28<br />

vom „irdischen Jesus“ zum „Christus des Glaubens“ boten die Vertreter<br />

der „Religionsgeschichtlichen Schule“ allerdings keine Lösung<br />

an. Otto und Bultmann griffen diese Problematik auf und versuchten<br />

unter Rückgriff auf Ergebnisse der religionsgeschichtlichen<br />

Arbeiten zum Neuen Testament, Judentum und Hellenismus Lösungswege<br />

zu entwickeln – jedoch mit sich grundlegend unterscheidenden<br />

Verfahren. Bultmann analysierte die synoptischen Evangelien<br />

radikal historisch unter traditions- bzw. formgeschichtlicher Perspektive.<br />

Otto integrierte die historische und religionsvergleichende<br />

Arbeit in eine pneumatische Exegese.<br />

Beide Lösungswege erschließen sich, wenn man den philosophischerkenntnistheoretischen<br />

Hintergrund beider Theologen analysiert<br />

und auf ihre theologischen Schwerpunkte und Arbeiten zu den<br />

synoptischen Evangelien bezieht. Während Otto bestrebt war, eine<br />

übergreifende Religionsphänomenologie zu entwerfen und seine<br />

Theorie seit 1908 auf die Erkenntnistheorie des in der Kant-Tradition<br />

stehenden Jakob Friedrich Fries (1773–1843) gründete, griff Bultmann<br />

in theologisch-erkenntnistheoretischer Sicht auf die Schleiermacher-<br />

und Kant-Rezeption des Marburger Theologen Wilhelm<br />

Herrmann zurück, die er mit seinem eigenen, insbesondere durch<br />

Paul Natorps (1854–1924) beeinflussten Kant-Verständnis verschmolz.<br />

Anders als Otto, der in der Person Jesu von Nazareth das<br />

„religiöse Urgeschehen“ schlechthin sah, insofern dieser den religiösen<br />

Menschen in Vollendung repräsentierte und so selbst Gegenstand<br />

des Glaubens wurde, entwertete Bultmann den historischen<br />

Jesus für das Christentum völlig. Bultmann griff in seiner Sicht des irdischen<br />

Jesus auch die – an ihrem radikal historischen Anspruch gemessen<br />

– s. E. inkonsequente Bewertung des historischen Jesus als<br />

treibende Kraft des christlichen Glaubens in der „Religionsgeschichtlichen<br />

Schule“ an und beanspruchte für sich, ihre Absicht in<br />

seinem Sinne radikal durchzuführen. Grundergebnisse dieser Forschergruppe<br />

integrierte er später in die existentiale Interpretation<br />

des Neuen Testaments.<br />

Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die Lösungswege Ottos und<br />

Bultmanns zu analysieren und daraufhin zu untersuchen, inwieweit<br />

die theologisch begründete Wahl philosophisch-erkenntnistheoretischer<br />

Korrespondenzmodelle die Richtung und Ergebnisse der jeweiligen<br />

Interpretation christlicher Texte prägt und welche Auswirkungen<br />

sich daraus für die Deutung des irdischen Jesus und seiner theologischen<br />

Gewichtung ergeben. Eine umfangreiche Materialbasis,<br />

meist unveröffentlichte Briefwechsel, Manuskripte, Vorlesungsnachschriften<br />

und Seminarprotokolle im Besitz der Universitätsbibliotheken<br />

Marburg und Tübingen sowie Bultmanns Randnotizen in<br />

Büchern seiner Fachbibliothek, die zum Teil in den evangelischtheologischen<br />

Seminaren der Universitäten Mainz und Bochum liegen,<br />

dokumentieren die Kontroverse, ihre methodischen und inhaltlich<br />

theologischen Hintergründe und geben Aufschluss über Rezeption<br />

und Modifikation der Entwürfe theologischer und philosophi-

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