12.12.2012 Aufrufe

JAHRESBERICHT 2000/2001 - Fritz Thyssen Stiftung

JAHRESBERICHT 2000/2001 - Fritz Thyssen Stiftung

JAHRESBERICHT 2000/2001 - Fritz Thyssen Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

23<br />

THEOLOGIE UND RELIGIONSWISSENSCHAFT<br />

entstanden bei den Hutterischen Brüdern, die ihren Sitz zunächst in<br />

Mähren hatten, dann nach Oberungarn auswichen und schließlich<br />

über Südrussland in die Vereinigten Staaten nach Kanada kamen.<br />

Die Kodizes sind bedeutende Überreste der frühneuzeitlichen Toleranz<br />

in ost- und südosteuropäischen Ländern und von hohem Wert<br />

für die Erforschung des frühen Täufertums im 16. Jahrhundert.<br />

Seit 1529/30 wanderten verfolgte Tiroler Täufer in die Markgrafschaft<br />

Mähren aus und bildeten unter der Führung des Laienpredigers<br />

Jakob Huter (Hutter/Huetter) eine Brüdergemeinde. Sie führten<br />

ein streng geregeltes kommunitäres Leben, lehnten Kriegsdienst,<br />

Eid und Beteiligung an obrigkeitlichen Ämtern ab und entfalteten<br />

noch zu Lebzeiten Huters, der 1536 in Innsbruck als Ketzer hingerichtet<br />

wurde, eine rege Missionstätigkeit. Nach mehreren vergeblichen<br />

Versuchen der habsburgischen Landesherren, die täuferischen<br />

Gemeinschaften in Mähren zu unterdrücken, genossen die<br />

Hutterischen Brüder ab der Mitte des 16. Jahrhunderts eine relative<br />

Sicherheit. Mit dem mährischen Adel gingen sie dabei eine bemerkenswerte<br />

Symbiose ein, indem sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten<br />

im Bereich der Landwirtschaft, des Handwerks und der Dienstleistungen<br />

auf dessen Bedürfnisse ausrichteten. Berühmt waren auch<br />

die hutterischen Ärzte, die innerhalb der Gemeinschaft ausgebildet<br />

wurden. Innermährische Aufstände, türkische Einfälle und der<br />

Dreißigjährige Krieg trafen die waffenlosen Hutterer im 17. Jahrhundert<br />

jedoch schwer. Infolge der „Erneuerten mährischen Landesordnung<br />

von 1628“ musste die gesamte Bevölkerung der katholischen<br />

Kirche beitreten oder das Land verlassen. Hutterische Emigranten<br />

siedelten sich daraufhin auf Brüderhöfen in der damals ungarischen<br />

Slowakei an; im 18. und 19. Jahrhundert wanderten viele Glaubensbrüder<br />

nach Russland, später nach Amerika aus.<br />

Die Hutterischen Brüder sind die einzige ostmitteleuropäische täuferische<br />

Bewegung, von deren Schrifttum nennenswerte Überreste<br />

vorhanden sind. In ihren Überlieferungen spiegeln sich die theologiegeschichtlichen<br />

Wurzeln der Hutterischen Brüder in der durch die<br />

apokalyptische Botschaft Hans Huts (gest. 1527) geprägten oberdeutschen<br />

Täuferbewegung der Reformationszeit wider, aber auch<br />

die Tatsache, dass sich ihnen zahlreiche Konvertiten aus verschiedenen<br />

anderen Gruppierungen des „linken Flügels der Reformation“<br />

anschlossen.<br />

Die Hutterer verwarfen programmatisch alle weltliche Bildung.<br />

Büchersammlungen entstanden auf den Brüderhöfen in erster Linie<br />

für das Selbststudium der Prediger, daneben auch für die religiöse<br />

Erbauung der einfachen Mitglieder. Sie umfassten zum einen Teil<br />

gedruckte Werke, meist Bibeln und Schriften religiösen Inhalts, zum<br />

anderen Teil Sammelhandschriften mit oft über 30 Einzeltexten vom<br />

Umfang reformationszeitlicher Flugschriften, die von Kopisten und<br />

Buchbindern in speziell eingerichteten Schreibstuben erstellt wurden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!